Als Mitgift leere Kassen aus Bonn

■ Bundesregierung verweigert Stadtstaatenprivileg für Berlin bei Länderfusion / Verlust von 60 Milliarden Mark erwartet

Keine sechs Tage sind vergangen, seitdem Bundeskanzler Helmut Kohl ankündigte: „Wir werden Berlin zur Visitenkarte Deutschlands von morgen ausbauen.“ Der Applaus der 330 Delegierten des Berliner CDU-Landesparteitags vom vergangenen Samstag ist kaum verebbt, da gefährdet die Bundesregierung die geplante Vereinigung von Brandenburg und Berlin zu einem gemeinsamen Bundesland.

Das Bundeskabinett beschloß gestern, im Falle der für 1999 geplanten Länderehe Berlin das Stadtstaatenprivileg bereits nach einem Jahr abzusprechen. Dann sollen die rund 3,8 Milliarden Mark, die Berlin zusätzlich zum Länderfinanzausgleich erstmals ab dem kommenden Jahr erhält, sukzessive abgebaut werden. Das Kabinett begründete seine Entscheidung mit verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Privileg, das sonst nur Hamburg und Bremen eingeräumt wird, könne Berlin – wenn es seinen Status als Stadtstaat verloren hat – nur für eine kurze Übergangsphase zugestanden werden. Für den Beschluß hatte sich Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) eingesetzt.

Jetzt droht die Länderfusion zu scheitern. Denn Brandenburg und Berlin hatten zur Voraussetzung gemacht, daß auch in einem gemeinsamen Bundesland das Stadtstaatenprivileg weitere elf Jahre erhalten bleibt und erst in den darauffolgenden vier Jahren auf Null heruntergeschraubt wird. Bei der vom Kabinett beschlossenen Regelung würde dem gemeinsamen Land ein Verlust von 60 Milliarden Mark drohen.

Der Bundesrat hatte der von Brandenburg und Berlin geforderten Regelung auch längst zugestimmt – denn sie verschafft Bund und Ländern auf Dauer finanzielle Vorteile. Ohne Fusion nämlich bleibt Berlin das Privileg unbefristet erhalten. Nun kommt es auf den Bundestag an, der in dieser Angelegenheit das letzte Wort hat und den Kabinettsbeschluß kippen kann.

Der Senat bedauerte gestern den Beschluß des Kabinetts. Senatssprecher Michael-Andreas Butz widersprach entschieden den verfassungsrechtlichen Bedenken und erinnerte an die bereits erteilte Zustimmung durch den Bundesrat. Eberhard Diepgen appellierte gestern in einem Schreiben an die Chefs der im Bundestag vertretenen Fraktionen: „Berlin will nicht mehr Mittel für sich, sondern nur den Status über einen begrenzten Zeitraum behalten.“

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky bemängelte zwar, daß „das im Kern positive Verhandlungsergebnis“ zwischen Berlin und Brandenburg voraussichtlich nicht realisiert werden könne. Doch von dem Termin 1999 hat sich der CDU-Chef insgeheim offenbar schon verabschiedet. Denn zur Wehklage bestehe kein Anlaß, sagte er gestern. Ein Nichtzustandekommen der Fusion nehme einem Teil der Berliner ihre Befürchtungen, die eine Vereinigung „allenfalls in der Mitte des nächsten Jahrzehnts für vernünftig halten“. Alle die Region berührenden Fragen auf den Gebieten Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr, Wissenschaft und Kultur müßten nun mit Staatsverträgen geregelt werden.

SPD-Fraktions- und Parteichef Ditmar Staffelt bezeichnete die Entscheidung der Bundesregierung als „absurd und irrational, verantwortungslos und blamabel“. Ein gemeinsames Land Brandenburg-Berlin sei ein Schritt hin zur Kostenersparnis und weg von der in der Bundesrepublik vorhandenen Kleinstaaterei. Die Bundesregierung praktiziere mit dem Kanzler an der Spitze zum wiederholten Male eine „Politik der Brutalität“ gegenüber Berlin. Staffelt erwartet vom Bundestag, daß dort die Vernunft siegt und ein Scheitern der Länderfusion verhindert wird. Dirk Wildt