piwik no script img

Vorschlag

■ Die Stepinskis mit „Märchen und Grauenhaftes“: Step und Comedy in der Scheinbar

Mit angstvollem Gesichtsausdruck erklimmen die beiden jungen Dinger die Bühne. „Wir sind die Vorgruppe“, flüstert die Kleinere und wischt die schweißnasse Hand am Polyesterkleid ab. „Von der Volkstanzgruppe aus Birkenwerder. Und wir sollen den Saal so richtig zum Kochen bringen.“

Das ist für die Stepinskis kein Problem. Jutta Burger und Natascha Fieler steppen auf den Spuren von Fred Astaire, auch wenn sie so tun, als wären sie bloß liebenswerte Laien. Trotzdem sind die nervösen Amateurinnen aus Birkenwerder nicht die Stars des Abends. Denn die Stepinskis präsentieren kein bloßes Step-Nummernprogramm, sondern verwickeln sich auch in die Fäden von langen, herrlich absurden Geschichten.

In einem komplizierten Märchen-Medley taumeln die lange Dünne und die kleine Kräftige von einer Rolle in die andere. Sie verkörpern das von Eßstörungen und Alkoholismus geplagte Geschwisterpaar Schneeweißchen und Altrosarot, aber auch die böse Stiefmutter, die Hexe und das Rumpelstilzchen. Hin und wieder mutieren die Stepinskis auch zu ihren eigenen ZuschauerInnen. Der beliebte Kunstgriff, Bühne und Zuschauerraum – die im nur wohnzimmergroßen Scheinbar Varieté ohnehin ineinander übergehen – zu vertauschen, wird hier ins letzte Extrem getrieben. Das Publikum verwandelt sich in einen verwunschenen Wald, und prüfend beklopfen die Märchenschwestern Köpfe und Frisuren: „Hier sind so kleine weiße Beeren dran. Kann man die essen?“ Wenn die böse Hexe dann noch das Publikum zu mästen beginnt, fehlt dem Märchen eigentlich nur noch ein schöner Prinz. Ohne Erbarmen reißt Schneeweißchen einen jungen Mann aus den Armen seiner Begleiterin und schleppt ihn zur Krönung auf die Bühne, wo er vor Verlegenheit zu schwitzen beginnt.

Nach der Pause, als die Zuschauer sich schon müde gelacht haben, ziehen die Stepinskis mit ihrem Schauerdrama „O Schreck, o Graust!“ noch einmal alle Register. Einige Register zuviel, denn die Story von der zyankalisüchtigen Professorengattin, die selbst durch acht Monate alte Hühnereier nicht totzukriegen ist, ist längst nicht so schön wie das wüste Märchen. Dafür kommen danach die beiden von der Volkstanzgruppe noch mal zum Zuge – und zeigen diesmal alles, was sie können. Nicht nur Steptanz nämlich: „Wir können auch singen und Englisch!“ Miriam Hoffmeyer

Vorstellungen von „Märchen und Grauenhaftes“: Bis 30.6., Fr.–So., jeweils um 21 Uhr, im Scheinbar Varieté, Monumentenstraße 9, Schöneberg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen