Widerstand auf dem Prüfstand

■ Bürgerrechtler und Historiker diskutierten über die Frage, ob die Opposition in der DDR Widerstand leistete / Sie taten sich schwer, den Begriff zu füllen

Übte die Opposition in der DDR Widerstand? Oder war sie stets bestrebt, Veränderungen nur im Rahmen der SED-Herrschaft durchzusetzen? Die Runde aus ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern und Historikern aus West und Ost, die am Mittwoch abend im Abgeordnetenhaus auf Einladung von Bündnis 90/Die Grünen zusammenkam, tat sich schwer, den Begriff zu füllen. Schließlich versuchte es Reinhard Schult vom Neuen Forum mit einem ironischen Rückblick: Widerstand habe er zum ersten Mal 1958 als Siebenjähriger mit dem Lesen von Mickymaus-Heften geübt. Und das in zweierlei Hinsicht: gegen die herrschende Ideologie und seine Mutter. Diese Hilflosigkeit war es wohl, warum frühere DDR-Oppositionelle wie Roland Jahn, Ulrike Poppe oder der Ostberliner Wolfram Hülsemann die theoretische Analyse mit Schilderungen aus dem persönlichen Lebensweg umgingen. Was der Begriff Widerstand umfaßt, ob er überhaupt auf die DDR übertragbar ist, blieb weitgehend unbeachtet. Auch der Einwurf eines Franzosen, der die Frage nach dem Unterschied von Widerstand und Dissidententum stellte, verhallte ungehört.

Hülsemann umriß die Problematik immerhin mit dem Hinweis, daß der Begriff des Widerstandes seit der NS-Zeit „politisch besetzt“ sei. Dem widersprach allerdings Ulrike Poppe. Weil der Anspruch des DDR-Systems „totalitär“ gewesen sei, müsse darunter auch jeder Versuch einer „Selbstbehauptung“ gefaßt werden.

Weitgehend einig war man sich mit der Analyse des Historikers Martin Jander von der Freien Universität (FU), die DDR-Opposition habe sich im Vergleich mit Polen oder der ČSSR erst mit rund zehnjähriger Verspätung an die Öffentlichkeit gewagt. Für Armin Mitter vom Unabhängigen Historikerverband an der Humboldt- Universität war daran auch die Haltung des Westens mitschuldig. Während die KSZE-Vereinbarungen den Spielraum für die Opposition in anderen osteuropäischen Ländern erweiterten, hätten die Verträge der Bundesrepublik mit der Sowjetunion die Herrschaft der SED legitimiert.

Jander machte noch einen weiteren Gegensatz zu den Nachbarstaaten der DDR aus: Während in Polen oder der ČSSR nach dem Prager Frühling 1968 jede Hoffnung auf einen Dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus aufgegeben worden sei, habe die DDR-Opposition bis weit in die achtziger Jahre hinein an die Reformierbarkeit des Systems geglaubt. Oder, wie es Pfarrer Wolfram Hülsemann ausdrückte: Die Bürgerrechtler wollten die herrschenden Zustände „veränderungswürdig und veränderungsfähig“ halten. Er widersprach damit der These des Bürgerrechtlers Reinhard Weißhuhn, der den häufig von der Opposition zitierten Begriff des Sozialismus in Pamphleten und Erklärungen als taktischen Schachzug wertete. Jander formulierte es noch drastischer: Mit dem Ende der Diktatur habe die Opposition zugleich ihren größten Erfolg und ihre „schwerste Niederlage“ erlitten, da sie weder ihre Idee einer Konföderation noch eines „reformierten Sozialismus“ durchsetzen konnte.

Die Rolle der DDR-Bürgerrechtler, so wurde am Mittwoch abend vor den rund 150 Zuhörern deutlich, glich einem Spagat. Die Hoffnung, das System zu Zugeständnissen zu bewegen, wurde stets von der Abgrenzung gegenüber der kapitalistischen Bundesrepublik, den „Bonner Ultras“ (Weißhuhn), begleitet. Der 1983 nach seiner Inhaftierung ausgebürgerte Jenaer Aktivist Roland Jahn erinnerte daran, wie umstritten und „verteufelt“ in manchen Gruppen der Kontakt zu westlichen Medien war. Die Angst, instrumentalisiert zu werden, sei größer gewesen als die Aufdeckung simpler Wahrheiten über Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörungen. Zusätzlich war es die Spezifik der jüngeren deutschen Geschichte, allen voran das antifaschistische Selbstverständnis des DDR-Staates, das die Zurückhaltung begründete, „Unrecht als Unrecht zu benennen“, wie Jander schlußfolgerte.

Gegenüber dem DDR-System, so Wolfgang Templin, unterlagen orthodoxe und undogmatische Linke in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen einer „Illusion“: Nie habe man sich dazu durchringen können, die DDR als Diktatur zu bezeichnen. Severin Weiland