Kanzlerrede

■ betr.: „Nicht nur geschmacklos“, taz vom 2.6.94

Helmut Kohl will also im Wahljahr '94 zu den Feierlichkeiten am 20. Juli reden. Schon dies Vorhaben kann man mit Klaus Hillenbrand „nicht sonderlich taktvoll“ nennen. Was aber soll man sagen, wenn er spricht wie auf dem Deutschen Bankentag 1985 in Bonn? Dort sollten Banker ermutigt werden, an die Zukunft zu glauben, und der Kanzler schloß seine Rede so:

„In wenigen Tagen, am 9. April, sind es 40 Jahre her, daß in Flossenbürg eine ganze Reihe der großen Männer dieses Jahrhunderts von den Nazis umgebracht wurde. Dietrich Bonhoeffer war einer von ihnen.

Er hat am Tage seiner Hinrichtung ein Gebet hinterlassen. Wenn Sie dieses Gebet heute einmal nachlesen – 40 Jahre danach, in einer ganz anderen Zeit –, dann zeigt sich, daß dieser Mann im Angesicht des Galgens die Fähigkeit hatte, in sich Kontinuität zu spüren, zu tragen und zu vermitteln; daß er Gottvertrauen hatte und daß er trotz seiner – im Menschlichen gesehen – verzweifelten Lage auf die Zukunft setzte.

Was im Konzentrationslager Flossenbürg möglich war, müßte heute auf einem Bankentag oder anderswo auch möglich sein.“ Henning von Wedel, Berlin