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Computerisierte Arbeit im Akkord

In den USA beginnt die schöne neue Computerwelt mit schlecht bezahlten Arbeitsplätzen  ■ Aus Omaha Andrea Böhm

Man stelle sich einen Montagmorgen im Jahr 2010 vor. Wir befinden uns im Eigenheim einer glücklichen amerikanischen Doppelverdienerfamilie: Vater Felix, Stadtplaner von Beruf, setzt sich pünktlich um neun Uhr vor seinen Computerbildschirm. Auf dem erscheint gerade sein Chef mit einem freundlichen „Guten Morgen“ zur Mitarbeiterbesprechung. Mutter Felicia, Galeristin von Beruf, erledigt an ihrem PC zuerst den lästigen Finanzkram: die monatliche Ratenzahlung für das Haus, Krankenversicherungsbeiträge, Kabel- und Zeitungsabonnements. Erst dann widmet sie sich den Vorbereitungen für ihre Cyber Space- Vernissage. Wer immer sich in ihr On-Line-Kunst-Forum einloggen kann, darf der Eröffnung einer Collagen-Ausstellung am hauseigenen Bildschirm beiwohnen. Der Scanner macht's möglich.

Vater Felix klickt sich nach zwei Stunden Konferenz per Videoprogramm in die Shopping Mall ein und kauft ein neues Snowboard — für Tochter Julia, die morgen 22 wird. Auswahl, Bezahlung und Versand mit einer Glückwunschkarte erledigt er mit der Computermaus und dem Code seiner Kreditkarte. Den Tag beschließt die Familie gemeinsam mit einem altmodischen Kinoabend. Im Videocomputermenü entscheiden sie sich für die Sparte „Historische Filme“ – und für „Back to the Future“ mit Michael Fox.

Soviel zum Jahre 2010. Ob diese Welt schön ist, sei dahingestellt. Jedenfalls soll so oder ähnlich der Alltag aussehen, wenn erst einmal der Information-Superhighway, ein Lieblingsprojekt der Clinton- Regierung, fertiggebaut ist. Noch in diesem Sommer sollen die Gesetzesschranken fallen, die bislang lokale und regionale Telefongesellschaften trennen und Telefongesellschaften die Herstellung von Fernsehprogrammen verbieten. Befreit von Staatsintervention sollen private Unternehmer den Superhighway auf eigenes Risiko bauen. Wer dabei an ein Verkehrsnetz denkt, liegt ganz richtig. Nur muß sich auf dieser Autobahn niemand mehr bewegen: Die Kombination aus Fernseher, Telefon und Computer verschafft Zugang zu Millionen von Orten einer künstlichen Welt: virtuelle Einkaufszentren, Hochschulseminare, Konferenzen, Bibliotheken, Videotheken, Banken und Arbeitsplätze.

Damit nicht genug, schwärmt US-Vizepräsident Al Gore, der High-Tech-Experte der US-Regierung: Der Information Superhighway soll massenweise hochqualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen.

Wer jedoch wissen will, wo die Zukunft schon begonnen hat, muß sich nach Nebraska begeben. Ursprünglich kamen Glanz und Glorie des Bundesstaates einzig daher, daß hier täglich im Akkord Hunderttausende von Steaks zurechtgeschnitten und verpackt wurden. Heute gilt die Hauptstadt Omaha als das Silicon Valley der Telekommunikationsindustrie.

Weil Präsident Harry Truman 1948 das „Strategic Air Command“ der US-Luftwaffe nach Omaha verlegte, wurde die Stadt in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit der neuesten Kommunikationstechnologie ausgestattet — eine hervorragende Voraussetzung, um sich als Autobahnkreuz der kommerziellen Strecken des Information Superhighway anzubieten.

Telemarketing heißt das im Fachjargon. Hier lassen Hotelketten per Computer Reservierungen von Gästen vornehmen; hier läßt der Boutiquenbesitzer in New York überprüfen, ob die Kreditkarten seiner Kunden gültig sind; hier wickeln Banken ihre Geschäfte und Transaktionen mit ihren Kunden ab.

Und hier sitzt Diana Crha mit anderen Frauen in einem Großraumbüro einer Telemarketing- Firma. Ausgerüstet mit Computer und Telefonkopfhörer, nimmt sie im Schichtdienst Hotel-Reservierungen entgegen und prüft Kreditkartennummern — für umgerechnet neun Mark Stundenlohn. Schafft sie es, in ihrer Schicht auch noch Abbuchungen für Kreditkartenbesitzer einzutippen, kann sie nach einem Punktesystem noch zwei oder drei Mark dazuverdienen. Manager, meist männlichen Geschlechts, überwachen am Computer, ob die Frauen die vorgegebene Anzahl von Telefonanfragen pro Viertelstunde schaffen. Wer die Stückzahl nicht bewältigt, erhält keine Lohnerhöhung. „In Omaha“, sagt Debbie Goldmann von der Gewerkschaft der Communications Workers of America, „ist die Ära der digitalen Akkordarbeit angebrochen.“

Die Handelskammer der Stadt hingegen verweist stolz auf die Arbeitslosenrate, die nach dem Einzug der Telemarketing-Industrie auf drei Prozent gesunken ist — und damit fünfzig Prozent unter dem Landesdurchschnitt liegt. Über 20.000 neue Jobs sind allein in Omaha geschaffen worden — doch von den Löhnen kann kaum jemand leben. Diane Crha kommt mit ihrem Jahresgehalt von umgerechnet 20.000 Mark nur über die Runden, weil sie keine Kinder hat, und im Alter von 35 Jahren wieder bei ihren Eltern wohnt.

Im Vergleich zu anderen Sektoren sind Gewerkschaften in der Telekommunikationsindustrie noch relativ stark vertreten: Die Beschäftigten der mächtigen US- Telefongesellschaften wie AT&T sind größtenteils gewerkschaftlich organisiert. Doch die Telemarketing-Firmen mit ihren Niedriglohnjobs suchen sich gezielt Regionen, in denen die Verzweiflung der Menschen groß und die Neigung zu solidarischem Handeln gering ist.

Was Hilfestellung durch die Clinton/Gore-Administration betrifft, so sind GewerkschafterInnen wie Goldstein ernüchtert. Ein Gesetzentwurf, der verhindern soll, daß Arbeitgeber auf Dauer die Arbeitsplätze von Streikenden mit neuem Personal besetzen können, ist auf der Prioritätenliste ganz unten angelangt. Der politische Widerstand im Senat, so die inoffizielle Begründung, sei zu groß.

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