„Klagemauer“ muß weg

■ Landgericht gibt Klage der Kirche statt / Initiator: „Wir gehen nicht freiwillig“

Für die einen ist sie eine „Schmuddelecke“, für die anderen eine „Wand des Friedens“: die Klagemauer am Fuße des Kölner Domes. Gleich neben dem Portal schwingen 800 Papptäfelchen, mit Klammern an Wäscheleinen befestigt, im Wind. „Friede ist, wenn einem Kind nichts mehr zum Wort Feind einfällt“, steht auf einer Tafel. Menschen aus aller Welt haben ihre Ängste und Sehnsüchte niedergeschrieben. Begonnen hat es mit dem Ausbruch des Golfkrieges im Januar 1991. Inzwischen haben mehr als 25.000 Menschen hier das Elend, den Krieg, die Folter und den aufkeimenden Neonazismus angeprangert.

„Der Dom ohne Klagemauer ist wie eine Kirche ohne Glauben“, schrieb eine Schulklasse. Aber an der Glaubensfestigkeit des Kölner Domkapitels müssen die Pennäler jetzt zweifeln. Denn die Domherren wollen das Mahnmal entfernen. Das Kölner Landgericht gab gestern ihrer Klage statt. „Das Urteil dient allenfalls der Rechtsklarheit, nicht dem Rechtsfrieden“, kommentierte Richter Franz Josef Ploenes sein eigenes Urteil mit unverhohlener Sympathie für die Klagemauer. Aber die Kammer habe nicht anders entscheiden können, da die Kirche Eigentümerin des Geländes sei.

Die gerade mal zwei Meter hohe und sechs Meter breite Mauer versperre den Blick auf den 150 Meter hohen Dom, hatten die Kläger behauptet. Und sie verschandele das Erscheinungsbild des Bauwerks. Die Befürworter sind von derartiger Zimperlichkeit überrascht. Seit jeher dulden die Hausherren im Schatten der Kathedrale schäbige Kitsch- und Souvenirbüdchen und die Dombaulotterie. Der Hauptgewinn, ein nagelneues Auto, hat neben der Kirche seinen angestammten Platz.

„Wir gehen nicht freiwillig“, kündigt Walter Hermann, Initiator der Klagemauer, an. Der Obdachlose bewacht die Täfelchen aus seiner Hütte an der Westwand des Doms. Er weiß sich einer breiten Unterstützung sicher – selbst innerhalb der katholischen Kirche. Denn längst ist die Klagemauer ein Symbol für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Nächstenliebe weit über die Stadtgrenzen hinaus geworden. Der Japaner Kazuo Sado, Überlebender des Atombombenabwurfs über Nagasaki, initiierte in seiner Heimatstadt eine Wandzeitung nach dem Kölner Vorbild. In Großbritannien, Frankreich und den USA waren Teile des Kölner Mahnmals Bestandteil von Ausstellungen. „Das Goethe-Institut wirbt in seiner Zeitung weltweit mit diesem Symbol für das gute Deutschland“, erzählt Hermanns Rechtsanwalt.

Aber auch die deutsche Kehrseite hat die Klagemauer als Angriffsziel entdeckt: Mehrfach wurde sie nachts von rechten Schlägertrupps zerstört, Walter Hermann und Helfer brutal zusammengeschlagen.

Klaus Bartels