Brief an „weise Führung“

■ Israel versprach, 3.000 Palästinenser freizulassen, hält sie aber weiter fest

Tel Aviv (taz) – Fast 3.000 palästinensische Häftlinge, die bis gestern freigelassen werden sollten, sind noch in Haft. In dem zwischen der PLO und Israel in Kairo geschlossenen Abkommen verpflichtete sich Israel, von den damals noch 9.000 inhaftierten Palästinensern bis zum 9. Juni 5.000 zu entlassen. Tatsächlich sind bis zu dem Stichtag aber weniger als die Hälfte freigekommen.

Ein Teil der Inhaftierten wandte sich gestern an die PLO- Führung. In einem Brief fragen sie, wo die „weise Führung in unserer Angelegenheit eigentlich steht“. Mit bitterer Ironie weisen die Verfasser des Schreibens darauf hin, daß die PLO-Spitze zu sehr mit dem Einheimsen von Finanzspritzen aus dem Ausland beschäftigt sei. Darüber vergesse sie, daß es noch Gefangene gebe, „die auch ein Recht haben, in Frieden und Stabilität zu leben“.

„Unser Schicksal liegt in den Händen der PLO-Führer“, heißt es in dem Schreiben. Doch die Mehrzahl der noch in israelischen Gefängnissen sitzenden Palästinenser sei der Überzeugung, „daß die palästinensische Verhandlungsdelegation und die PLO zu Gefängniswärtern geworden sind“.

In dem Brief lehnen die Gefangenen Forderungen der Israelis ab, sich vor der Entlassung schriftlich zu verpflichten, das Autonomieabkommen zu unterstützen, der Gewalt abzuschwören und für die verbleibende Zeit ihrer Haftstrafe den Gaza-Streifen nicht zu verlassen. Der in Jerusalem lebende Arafat- Berater Ahmed Tibi lehnt die israelischen Entlassungsbedingungen mit der Begründung ab, viele der Inhaftierten stammten überhaupt nicht aus dem Gaza-Streifen. „Weshalb sollte sich ein Palästinenser aus Jenin [in der Westbank, d. Red.] verpflichten, seine Strafe ausgerechnet im Gaza-Streifen abzusitzen?“ fragt er.

Die israelischen Behörden kündigten gestern an, in den nächsten Tagen eine kleine Anzahl von palästinensischen Gefangenen freizulassen. Amos Wollin