Überall ist Hafenstraße

■ Fanny Müller - Die 10. Geschichte von Frau K.

uf dem Paulsenplatz ist Flohmarkt. Eines der größeren gesellschaftlichen Ereignisse, seitdem der öffentliche Sperrmüll abgeschafft worden ist. Frau K. und Trixi sitzen hinter dem Stand von Tochter Gerda und Enkelin Ywonne, die Kaffee und Butterkuchen verkaufen. Nachdem ich mir durch einen Rundgang einen allgemeinen Überblick verschafft habe, geselle ich mich zu ihnen. Trixi kaut lustlos auf einem Stück Kuchen und sieht meinen Knöchel als eine willkommene Abwechslung an. Ich rücke auf die andere Bankseite. Jetzt kommt Anneliese Köster aus ihrer Haustür, und schon geht es los. Sie zeigt auf den Stand nebenan, wo Pizza, Stadtteilzeitungen und Poster der Hafenstraße mit den bunten Häusern drauf angeboten werden. „Daß die sich nich schäm, wie die Häuser aussehen ...“

Frau K. weist auf unser Haus, das gegenüber liegt: „Und – findst du das besser?“ Der Putz ist abgeblättert, die Haustür ist umrahmt von Graffiti: „USA raus aus der Welt“ und „Sandra ist eine St. Pauli-Nutte“. Anneliese geht nicht darauf ein, sie ist heute irgendwie giftig. „Un überhaupt, da wohn ja Terroristn und Gruppensex machn die un ...“ „Un Heiratsschwindel?“ wirft Frau K. ein. Das hätte sie nicht sagen sollen. Anneliese kommt immer „in Brass“, wenn sie an die Geschichte erinnert wird. „Mein Sparbuch hatter aber nich gekricht!“ sagt sie wütend. „Weil sie den vorher verhaftet ham“, stichelt Frau K. weiter. „Un verheirat sind die sowieso nich, das wolln die ja ganich ...“ kommt Anneliese auf die Hafenstraße zurück. „Mamma war auch noch nie verheiratet“, sagt Ywonne. Gerda grinst, Frau K. macht ein tolerantes Gesicht. Anneliese ist noch nicht zu Ende: „Un denn brechen die ein un klaun un ...“ „Und wofür sitzt Kalle?“ fragt Ywonne. Kalle ist Annelieses Neffe. „Da war der duhn!“

„Also, wenn ich ma einbrechn geh, denn bin ich auch vorher duhn, das gibt Prozente bein Gericht“, sagt Frau K., „aber nich so duhn, daß ich bei meine eigene Tante einbrechen tu“. Anneliese verschlägt es für einen Moment die Sprache. Ywonne hakt ein: „Un ich, ich hab ...“ „Du bis jetz still!“ sagt Frau K. scharf. Das möchte sie wohl doch nicht, daß alle erfahren, wie Ywonne bei Budnikowsky ausgelöst werden mußte, weil sie Präservative geklaut hat. Ich glaube nicht, daß sie die mit ihren 15 Jahren schon braucht, aber man weiß ja nie.