Viele Modelle und ein Ziel

■ Muttersprachlicher Unterricht in Hamburg: Noch tragen die Konsulate die Hauptlast Von Florian Sievers

Zumindest in einem Punkt sind sich alle Beteiligten einig: Der Unterricht in der Muttersprache ist für Kinder von Einwanderern und Flüchtlingen nicht nur wichtig, sondern sogar notwendig. Er bedeutet Unterricht in einer Sprache, mit der diese Kinder aufwachsen, die ihre Eltern zu Hause sprechen, und die damit einen Großteil ihrer täglichen Erlebnisse prägt. Das Angebot an muttersprachlichem Unterricht für MigrantInnen in Hamburg wollen denn auch alle verbessert sehen, kann es doch „pädagogisch gesehen keine zwei Meinungen über seinen Sinn geben“, wie der zuständige Oberschulrat Hans-Joachim Schwenke meint. Über das meiste, was darüber hinaus geht, gibt es jedoch weder Konsens noch Konzept.

Dabei finden sich viele Gründe, die für den Muttersprachenunterricht sprechen: Werden Kinder in der Sprache unterrichtet, mit der sie schon vor der Schule in Berührung gekommen sind, verschafft ihnen das einen stabilen Erstwortschatz, der zum Erwerb einer Zweitsprache, also Deutsch, eine wichtige Voraussetzung ist. Auch bedeutet der muttersprachliche Unterricht für die MigrantInnenkinder, daß sie fortan nicht mehr in zwei getrennten, unterschiedlich akzeptierten, sprachlichen Welten leben müssen – eine zu Hause bei ihren Eltern, eine bei ihren FreundInnen, in der Schule, auf dem Kinderspielplatz – sondern daß sie beide Bereiche als gleichwertig betrachten können. Dies hilft nicht nur den Kindern in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, sondern trägt auch zur Entspannung im Elternhaus bei.

Die Beschäftigung mit den Sprachen von ausländischen MitbürgerInnen in deutschen Schulen ist zudem eine Voraussetzung für die Integration von MigrantInnen: Das gleichberechtigte Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen und Sprachen wird durch die Unterweisung der Kinder in der Sprache ihrer Eltern überhaupt erst möglich.

Ganz entscheidend für den Erfolg dieses Unterrichts sind dabei aber die Bedingungen, unter denen er angeboten wird. Hamburg gehört zu den sechs Bundesländern, die sich für die bequemste und billigste Organisationsform von muttersprachlichem Unterricht entschieden haben: Die Hansestadt hat die Verantwortung dafür im Jahr 1976 ganz einfach auf die Konsulate der MigrantInnen abgewälzt und betätigt sich nur dann als Träger, wenn, wie zum Beispiel bei KurdInnen, IranerInnen und AfghanInnen (siehe Kasten), keine Auslandsvertretung zuständig ist.

Der überwiegende Teil dieser Kurse findet daher nachmittags als Ergänzung zum normalen Schulunterricht statt. Nur für Unterricht in Türkisch, Portugiesisch, Spanisch, Griechisch und Italienisch, den Sprachen der ehemaligen Hauptentsendeländer von „Gastarbeitern“, stellt die Stadt Hamburg den Konsulaten kostenlos Räume zur Verfügung und trägt mit jährlich insgesamt 640.000 Mark etwa zehn Prozent der Kosten.

Dieser Ergänzungsunterricht, im Regelfall fünf Stunden pro Woche, hat den Nachteil, daß seine Inhalte nur sehr schwer von Vertretern des Schulamtes zu kontrollieren sind. Auch lassen sich die Lehrinhalte nicht mit denen des deutschen Regelunterrichts koordinieren. Ähnlich verhält es sich mit dem Unterricht, der in privaten Vereinen oder Verbänden erteilt wird, in Hamburg beispielsweise für Kroatisch und Polnisch.

In den Genuß von Sprachunterricht, der am Vormittag in den normalen Stundenplan integriert ist, kommen nur die Angehörigen der wenigsten Nationalitäten. Neben Türkisch und Griechisch (siehe Kasten) besteht für AussiedlerInnen aus Polen und Rußland ein geringes Angebot, an der Grundschule in der Laeiszstraße erteilt außerdem ein Lehrer Unterricht in der Sinti- und Roma-Sprache Romanes und in Serbokroatisch. All diese Sprachen, Türkisch und Griechisch ausgenommen, werden jedoch nur von Klasse 1 bis 4 unterrichtet.

Das größte Hindernis sind die Personalkosten

TürkInnen haben als größte Einwanderergruppe gleich mehrere Möglichkeiten, vormittags an muttersprachlichem Unterricht teilzunehmen: Sie erhalten beispielsweise an einigen Grundschulen fünf Stunden in der Woche Türkischunterricht, wovon zwei Stunden islamische Religionslehre sind. An wenigen Schulen, zum Beispiel Rothestraße und Theodor-Haubach-Schule, werden sie außerdem zweisprachig alphabetisiert. Des weiteren gibt es an der Gesamtschule Wilhelmsburg eine rein türkische „Nationale Übergangsklasse“, die allerdings zusammen mit zwei griechischen Klassen ein auslaufendes Modell darstellt. Noch recht neu ist dagegen, daß Türkisch, wie an der Max-Brauer-Schule, als drittes oder viertes Prüfungsfach im Abitur gewählt werden kann.

Die große Vielfalt an verschiedenen Unterrichtsformen resultiert daraus, daß in Hamburg kein einheitliches Konzept für vormittäglichen Muttersprachenunterricht vorliegt. Die Schulen haben deswegen, wenn überhaupt, ihre Modelle in Eigenregie ausgearbeitet. Daß hierbei auch andere Wege beschritten werden können, zeigt Hessen, das den muttersprachlichen Unterricht zum Pflichtfach gemacht, in die Zuständigkeit der Schulbehörde übergeben und damit eine Rechtsgrundlage für einheitliche Normen gelegt hat. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert für Hamburg ähnliche Regelungen: Der Muttersprachenunterricht soll nicht nur vormittags und von der Schulbehörde organisiert sein, er müsse darüber hinaus auch von der Vorschule bis zum Abitur durchgehend für alle SchülerInnen angeboten werden.

Die Organisierbarkeit von solchem Unterricht stößt bei kleinen Einwanderergruppen an ihre Grenzen, meint Oberschulrat Schwenke und weist überdies auf das Problem der Personalkosten hin. Ein Land wie Schweden, wo alle zweisprachigen SchülerInnen ein Recht auf Unterricht in ihrer Muttersprache haben, sollte zumindest als anstrebenswertes Vorbild dienen, hält Christa Goetsch von der GEW dagegen. Nächster Schritt muß ihrer Ansicht nach aber sein, daß muttersprachlicher Unterricht in all den Stadtteilen organisiert wird, die Ballungsgebiete bestimmter Nationalitäten sind: „Die Kinder sollen endlich vor Ort in ihrer lebensweltlichen Zweisprachlichkeit lernen können“.