Wie aus 1 Centavo 100 Millionen Peseten wurden

■ Interview mit Carlos Tablada, Professor an der Universität Havanna

Was waren die konkreten Vorschläge des „Che“?

Carlos Tablada: Gut, ich habe schon gesagt, daß „der“ Che die materiellen Anreize für die Arbeiter nicht aufhebt. Da sie sie für ihre Arbeit brauchen, behält er sie bei. Aber er beginnt andere, alternative Formen zu entwickeln. So z.B. den sozialistischen Wettbewerb, die moralischen Anreize, der exemplarische Charakter. Wenn es z.B. gilt, eine bestimmte Aufgabe anzugehen, so müssen die Leitungen die ersten sein, die sie angehen.

Die wirkliche Beteiligung der Arbeiter an den Entscheidungen und in der Direktion der Fabriken durch ihre Versammlungen, ihre Gewerkschaften. Das sind die konkreten Punkte, die er in dieser Periode entwickelte. Er nahm auch an der Ausformulierung der Strategie der Entwicklung Kubas in den Jahren von 1959 - 65 teil. Dort wurde vorgeschlagen, den industriellen Aufbau mit unserem Hauptwirtschaftszweig, der Landwirtschaft, zu finanzieren. Das war der Wirtschaftszweig, der uns zur Kapitalakkumulation dienen konnte, um in eine zweite Etappe der Industrialisierung zu kommen. In dieser zweiten Phase sollte vor allem die mechanische Industrie entwickelt werden und innerhalb dieser die Entwicklung, der für die Landwirtschaft nötigen Produktionsmittel.

Kannst Du uns Beispiele dafür geben, worin sich die erste Periode ökonomischer Berechnung, von der zweiten, der sowjetischen Perioder unterschied?

In der ökonomischen Abteilung, die ich leitete, arbeiteten fünf Leute. Wir hatten dabei mit einem Etat von ca. 20 Millionen US-Dollar zu kalkulieren. Als ich das sowjetische ökonomische Modell übernehmen mußte, wurde mir ein Stellenplan mit 71 Personen auferlegt. Das heißt also, daß dieselbe Arbeit, die wir vorher mit 5 Leuten im Zentralbüro erledigt hatten, wir jetzt mit 71 Leuten erledigen sollten.

Wir hatten ein Buchführungssystem, welches nicht nur die zentralen Daten der Holding erfaßte, sondern auch die Daten jeder Fabrik, was dem jeweiligen Geschäftsführer und dem Aufsichtsrat, in dem die Gewerkschaft saß, erlaubten, eine Kalkulation anhand der realen Kosten zu machen, und so die Produktion zu steuern.

Ich will ein Beispiel geben: Im Jahre 1964 beauftragte „der“ Che den Vizeminister Castillera damit, in der westlichsten Provinz Kubas, in Pinar del Rio, eine Untersuchung durchzuführen. Es sollte untersucht werden, warum im letzten Trimester des Finanzhaushaltes dieser Region eine ungeklärte Differenz auftauchte. Dabei drehte es sich um einen Finanzhaushalt von ca. 25 – 30 Millionen kubanischen Pesos. Dies erzählten mir die Kubaner, die damals in der Region Pinar del Rio von diesem Vizeminister zur Untersuchung herangezogen wurden.

Der Vizeminister kam um 4 Uhr nachmittags an. Er setzte sich sofort hin, um zusammen mit dem Industriedirektor der Provinz, dem leitenden Rechnungsführer, dem leitenden Ökonomen und seinen Assistenten den Fehler zu finden. Bis morgens um 2 Uhr saßen sie so da, sie hatten nichts gegessen. Deswegen sagten sie zu ihm: „Laß uns doch morgen weitermachen!“. „He, was wollt Ihr, Che Guevara erwartet mich morgen in Havanna“, entgegnete er. „Aber es handelt sich doch nur um eine Differenz von einem Centavo!“ „Daraufhin sagte er: „Wenn wir jetzt einen Fehler von einem Centavo durchgehen lassen, dann sind es innerhalb weniger Jahre einige Millionen.“

Solche Auffassungen haben wir mittlerweile entzweigehauen. Das Resultat ist, daß sich heute in meinem Land Werte im Bereich von Hunderten Millionen Pesos außerhalb jeglicher Kontrolle befinden. D.h. es läßt sich nicht mit aller Bestimmtheit sagen, wo welche Bestände sind. Dies ist der Unterschied in der Effektivität, aber auch in der Logik der beiden Systeme.

In den Sechzigern gab es ja eine ökonomische Krise, die Produktion stieg nicht mehr so stark und es mußte eine Lösung gefunden werden. Warum haben die Ideen „des“ Che nicht mehr gegriffen?

Du darfst nicht vergessen, daß dieses Modell im schwierigsten Moment der Revolution entwickelt wird. In Kuba gab es 1463 Ingenieure in der Industrie, von denen nur 400 blieben, der Rest ging weg. Praktisch alle Geschäftsführungen der Fabriken gingen auch. Daran sollte die Wirtschaft zusammenbrechen. Die Nordamerikaner, die 72 Prozent unserer Exporte abnahmen und von denen wir 74 Prozent unserer Importe bekamen, brachen diesen Austausch von einem auf den anderen Tag ab. Alle Brennstoffe und alles. Sie riefen die Blockade aus. Sie schmissen uns aus allen Kreditorganisationen raus, wir verloren die Möglichkeit, weitere Technologien zu bekommen. Die kubanische Wirtschaft war nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, sich selbst weiterzuentwickeln.

Die kubanische Ökonomie ist nicht nur nicht zusammengebrochen, sondern hatte sogar ein bis zwei Prozent Steigerung in diesen Jahren. So hatten die Kapitalisten z.B. in die wichtigste, nämlich die Zuckerindustrie seit 1928/29 nicht mehr investiert. 30 Jahre wurde diese Industrie ohne eine einzige Investition betrieben.

Interview: Lutz Stubbe Gekürzte Fassung eines Interviews auf „Radio Loretta“ im Offenen Kanal Hamburg