Nachschlag

■ Herbert Fritsch liest Konrad Bayer in der Volksbühne

Herbert Fritsch Foto: Gregor

Ein Gummibaum, sonst nichts, der Akteur auf Zehenspitzen: Herbert Fritsch mit Gießkanne bewaffnet nähert sich dem Bürowinzling auf der sonst leeren Bühne. Begießung, Abgang, nächster Auftritt mit einem großen Stapel einzelner Zettel, die am Bühnenrand abgelegt und mit Staunen gesichtet werden. Wie man ein Törtchen in der Hand hin und her wendet, bevor es verschlungen wird, so blickt er ins Manuskript, setzt zum Sprechen an, starrt verwundert auf die Zettel wie in eine Vitrine, die Ungeheures verbirgt. Er verwirft, knüllt die ersten Blätter, staunt.

„Es gibt einen Satz, der unangreifbar ist, nämlich der, daß man Dichter sein kann, ohne auch irgend jemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben“, proklamierte 1953 H.C. Artmann. Für den experimentellen Autor Konrad Bayer, dessen Texte in der Volksbühne dann doch noch gesprochen wurden, war das ganze Leben ein Formexperiment. Im Oktober 1964 beendete er es.

Der bis 1957 als Bankangestellte tätige Konrad Bayer hatte im Nachkriegs-Wien mit H.C. Artmann, Gerhard Rühm und Oswald Wiener den „artclub“ gegründet, aus dem sich später die „Wiener Gruppe“, eine der radikalsten literarischen Formationen, konstituierte. Publikumsbeschimpfungen legten sie Herrn Handke in die Wiege und veranstalteten Happenings, als der Begriff noch nicht einmal geprägt war. Ihre Texte sind voll des schwarzen Humors, blasphemisch, böse. Erstmals entstanden lautsprachliche Dialektgedichte und ein neues poetisches Verfahren, der methodische Inventionismus. Nach dem Goldenen Schnitt mit mathematischen Verfahren erstellt, ist diese Methode eine Fortführung dadaistischer Lautgedichte und der alogischen Begriffsfolgen des Surrealismus. Doch nicht computeranimierte E-Kunst ist bei Bayer das literarisch-mathematische Resultat, sondern rhythmisierte Sprachkonstellationen mit anarchischem Witz.

Herbert Fritsch fasste die Texte zu einem strudeligen Wort- und Sprachwirbel. Vor kurzem war Fritsch als weltreisender Schlangenbeschwörer in „Pension Schöller: die Schlacht“ an der Volksbühne zu sehen. Hier entwindet Fritsch die bayerischen Texte dem Papierwust und ist dabei weniger Magier als souveräner Raubtierbändiger. Das leider nur spärlich erschienene Publikum amüsierte sich ausgiebig: aah, sagten alle aus fünfhundert kehlen oder mehr und der gegenstand war verschwunden. Das war so kurz vor 23 Uhr. Caroline Roeder

„der/die mann“, noch einmal am 23.6., 21.30 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz 1, Mitte