Nagender Zweifel: Schlaganfall

■ August Strindbergs „Vater“ im Maxim Gorki Theater

Vielleicht hat August Strindberg die Frauen wirklich gehaßt. In seinen Dramen manifestiert sich jedoch stets mehr als der pure Geschlechterkampf: Psychischer Kannibalismus im Salon, ein Gemetzel der Seelen. Das, ohne Frage, ist von zeitloser Bedeutung. Hinzu kommt, daß in Strindbergs über 100 Jahre alten Stücken auch die gesellschaftliche Position der Sparringpartner eine Rolle spielt, weswegen man, auch nach David Mamets „Oleanna“, Gründe genug finden könnte, beispielsweise den „Vater“ aufzuführen.

Hier kämpft eine ungebildete Hausfrau gegen einen Rittmeister von Ehemann, der im Nebenberuf auch noch Naturwissenschaftler ist. Gerade die intellektuelle Überlegenheit baut sie zu einer Falle für ihn aus. Er glaubt, dem progressiven Geist seiner reaktionären Zeit entsprechend, an die Realität des Faktischen und kann durch Zweifel am nicht Belegbaren in den Wahnsinn getrieben werden.

Oberflächlich geht es um die Zukunft der Tochter. Gibt man sie zu einem „Freidenker“ in Pension und bildet sie zur Lehrerin aus, oder soll sie zu Hause bleiben? Typisch für Strindberg, daß er den Mann die fortschrittliche Position vertreten läßt und die Frau als Gefängniswärterin ihrer eigenen „Klasse“ zeigt – ein gezielter Schuß gegen Ibsens zaghaftes Emanzipationsdrama „Nora“. Damit muß man sich nicht aufhalten.

Fakt ist, daß hier eine Machtlose Macht über den Mächtigen gewinnt. Er sagt, laut Gesetz dürfe der Vater allein bestimmen, sie gibt zu bedenken, daß ein Mann doch niemals wissen könne, ob er der Vater sei. Auch hier haben wissenschaftliche Einzelheiten nicht zu interessieren, im Detail ist das natürlich Schnee von vorgestern. Aber der Hieb sitzt, der Zweifel nagt und ist trotz vielfältiger Beteuerungen weiblicherseits nicht mehr von seinem destruktiven Weg abzubringen: Schlaganfall. Welcher Waffen sich hier wer bedient, wie man verbal immer tiefer in den anderen hineinsticht, wäre noch zu untersuchen.

Martin Meltke, der im Maxim Gorki Theater die Regie ergriff, war, wenn er denn Ahnungen hatte, auch nicht ansatzweise in der Lage, diese seinen Schauspielern zu vermitteln. Hansjürgen Hürrigs Rittmeister stolpert vom Komödienstadl in eine Bürgerfarce à la Sternheim und wieder zurück. Immer wieder reckt er sich, mit den Händen in den Hosentaschen, ruckelt dabei seinen Bauch nach oben, wirft das Kinn hoch und breitet sich schwankend auf der Bühne aus. Keinen Augenblick ist er sich seiner sicher, kann logischerweise auch nicht wirklich zu Fall gebracht werden und weicht deswegen gerne auf einen „Verzweiflungston“ aus, indem er nölig spricht und so, als ob er eine Frühlingskartoffel im Mund hätte.

Und Ruth Reinecke gebärdet sich wie eine Küchenfee aus dem Maggistudio, blond onduliert, fließend berockt und mit einem wohlerzogenen Lächeln, das jede Attacke bestenfalls zu einem kleinen Nebenvorwurf macht. Überhaupt verschwimmt alles in dieser Inszenierung in einer heiteren Gelassenheit, die merkwürdigerweise dann aber doch auch nichts Spielerisches hat. Die meisten treten auf und sagen ihren Text auf, manchmal rudern sie mit den Armen dazu wie Wolfgang Hosfeld als Pastor oder ringen die Hände wie Manja Behrens als Amme.

Sie wissen genau, was sie sagen müssen, da braucht man dann gar nicht mehr nachzudenken oder gar eine Stimmung entstehen zu lassen, aus der heraus das Tun und Lassen begreifbar wird. Man bewegt sich einfach steif im mittelbürgerlichen Ambiente von Matthias Kupfernagel: Die hohen Wände wechseln im Uhrzeigersinn von grün nach blau (warum eigentlich: Hoffnung? Seelenfarbe? Paßt doch alles nicht!), Ledersessel, Naturholzsekretär, hinten Tisch und Stuhl vor einem immer nächtlichen Fenster, und draußen rieselt der Schnee – nicht leise allerdings, schubweise zuweilen: kein wirklicher Kraftakt und auch keine Nuancen.

Ein Trauerspiel, in der Tat, wie die letzte Hetterle-Spielzeit zu Ende geht. Die geplanterweise folgende Produktion, Thomas Bernhards „Am Ziel“, das Karl Gassauer am 15. Juni im Studio zur Premiere bringen sollte, ist auf die nächste Spielzeit verschoben und damit vermutlich gekippt. Nach Meltkes leidlich passablem „Kaffeehaus“, der Winkelgrundschen „Medea“-Katastrophe und Risses sehr vereinfachender Aufführung von Robert Schneiders „Dreck“, nach... – naja, lassen wir's.

Es bleibt ein allzu mühsamer Eindruck, man stumpfte ab im Parkett des neu renovierten Hauses, dröge auf die Bühne glotzend und mit der ständigen Frage: Wozu? Petra Kohse

„Der Vater“ von August Strindberg; Regie: Martin Meltke, Bühne: Matthias Kupfernagel; mit: Hansjürgen Hürrig, Ruth Reinecke, Stefanie Stappenbeck u.a. Wieder am 12., 15. und 20.6., 19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte