Über allem schwebt ein kleiner Hauch Exotik

■ Trotzdem immer mehr Westberliner in den Ostteil der Stadt ziehen, kann von einem Zusammenwachsen auf dem Wohnungsmarkt keine Rede sein / Auch Umland unattraktiv

Seit fast zwei Jahren wohnt er nun im Osten. Eckardt, ein waschechter Wessi, lümmelt auf den blankpolierten Steinen am Spielplatz vor dem Wasserturm in Prenzlauer Berg und fühlt sich hier „sauwohl“. „Ich bin aus Wilmersdorf hergekommen. Es war für mich ein halbes Wegziehen aus der Stadt, in der ich bisher gewohnt habe.“ Aber was in Ostberlin abgeht, sagt er, finde er nun wahnsinnig spannend. Und von der billigen Miete, 500 Mark für zwei große Zimmer, hätte er früher „nur träumen können“.

Auch wenn Eckardt so begeistert ist, den Sprung über die ehemalige Mauer haben bisher nur wenige BerlinerInnen gewagt. Vier Jahre nach der Wiedervereinigung präsentiert sich Großberlin noch immer als geteilte Stadt. Die Inselmentalität, von Ost und West in der Vergangenheit gleichermaßen gepflegt, erweist sich als überaus zäh und langlebig. Eine aktuelle Studie des Bausenats stellt dann auch fest: „Ein Zusammenwachsen auf dem Wohnungsmarkt hat noch nicht stattgefunden. Die Bereitschaft, in den jeweils anderen Teil der Stadt umzuziehen, ist außerordentlich gering.“

Es scheint immer noch ein enormer Unterschied zu sein, ob man von Kreuzberg in den Wedding zieht oder in das benachbarte Pankow. Nur sieben Prozent, so die Studie, wären bereit, das Abenteuer „go east“ auf sich zu nehmen. Und umgekehrt sind es auch nur zwei Prozent mehr. Gerade einmal 29.000 BerlinerInnen konnten sich im vergangenen Jahr dafür erwärmen, ihre Möbelwagen von Ost nach West oder umgekehrt zu schicken. Davon waren aber deutlich mehr WestberlinerInnen auf dem Osttrip. Knapp 16.000 zog es auf die andere Seite. Und die Tendenz ist steigend. Problematisch ist allerdings nach wie vor, daß für die meisten Wohnungen in Pankow, Friedrichshain oder Mitte ein Wohnberechtigungsschein nötig ist. Und um den zu erhalten, muß man als Westberliner nachweisen, mindestens ein Jahr im Osten gelebt zu haben.

Die Motive für einen Seitensprung sind höchst unterschiedlich. Im Ostteil locken insbesondere die niedrigeren Mieten: Die Quadratmerpreise belaufen sich hier im Durchschnitt auf fast die Hälfte der vergleichbaren Westmieten. Besserverdienende im Osten bevorzugen dagegen oft den Westteil, denn der Ausstattungsgrad der Wohnungen dort ist deutlich besser. Immerhin werden nach wie vor 30 Prozent der Ostberliner Wohnungen ofenbeheizt, in den westlichen Bezirken sind es nur noch 17 Prozent.

Die Hauptstädter sind im Vergleich zu anderen Großstädten aber eher umzugsmüde. Auch das Berliner Umland kann kaum locken. Nur 20.000 wollen in eine grünere Umgebung. Daß sich die Ostler von den Westlern unterscheiden, wird auch hier deutlich. Wenn überhaupt, entfliehen WestberlinerInnen der Großstadthektik und suchen die Nähe zur Natur. Für die Ostler kein Thema, sie haben eher einen Nachholbedarf nach einer passenderen und dennoch billigen Wohnung.

Am unkompliziertesten finden Ossis und Wessis wohl in den mittleren Bezirken Berlins zueinander – in Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain. Vor allem Neuberliner und Studenten, die vom westlichen Wohnungsmarkt verdrängt wurden, mieten sich hier ein. Auch die intakte Kulturszene ist reizvoll. „Das ist hier noch nicht ganz so verknöchert wie in Kreuzberg“, meint Eckardt. Ein Großteil Nostalgie kommt hinzu und der Traum von einem freundlicheren Miteinander, doch noch immer schwebt über all dem ein kleiner Hauch Exotik. Eine Mischkultur ist jedenfalls auch im „Künstlerbezirk“ Prenzlauer Berg nicht zu beobachten. Die Frage „Ost oder West?“ steht immer noch im Raum, und viele „Eingewanderte“ fühlen sich nach wie vor nicht heimisch. So sieht sich auch Eckardt als Außenstehender: „Ich bin Wessi, immer noch. Die Dinge, die hier abgehen, betreffen mich nicht persönlich, und ich sehe auch weniger, was alles kaputtgeht.“ Anja Nitzsche