„Man greift in Watte“

■ SPD-Kanzlerkandidat in Marzahn: schwammige Gründe, SPD zu wählen

Rudolf Scharpings Auftritt hatte fast etwas von einem Volksfest: Maibowle wurde verkauft, Jägermeister gratis ausgeschenkt, ein Karussell dudelte über den Platz, sogar die Sonne erhellte zwischendurch das Betongrau. Trotz des langen Donnerstags waren etwa 1.000 Menschen zum Kaufhof in der Marzahner Promenade gekommen, um den Kanzlerkandidaten zu sehen.

Bis zur Eröffnung des „Dialogs“ ließen sie ihn geduldig monologisieren: daß sich Arroganz und Besserwisserei gegenüber den Ostlern verbiete, daß er nie vergessen werde, wie Menschen mit 1.500 Mark im Monat auskommen müssen und auch „ein Mensch wie isch bestimmt enorme Schwierigkeiten bei der gewaltigen Umstellung“ hätte, über soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, die große Tradition der sozialdemokratischen Bundeskanzler, Umweltschutz, Rassismus und daß die SPD wieder stärkste Partei werden müsse. In gewohnt leidenschaftsloser Manier riß er alles an und – sagte nichts.

Mit Blick auf die Protestplakate von Mitgliedern des Vereins der Märkischen Eigenheim- und Grundstücksbesitzer e.V. („Zum Teufel, wir lassen uns nicht vertreiben“) stellte er klar, daß Politik in einer Demokratie nicht nur aus Protest bestehe. Man müsse genau überlegen, was Protest sei und wo die Chance zur Veränderung. Daß die seine Partei biete, daran ließ er keinen Zweifel: „Die wirtschaftliche und soziale Einheit sollten Sie uns zutrauen.“ Der Wunsch des Vereins nach einer klaren SPD-Linie blieb mit dem lauen Statement, die Rechte der Nutzer seien wichtiger als die Ansprüche der Alteigentümer, unerfüllt.

Eine Frau wünschte Scharping und sich selber zwar, daß er Bundeskanzler werde, weil sie Kohl nicht leiden könne (Applaus). Trotzdem wollte sie von ihm wissen, warum er sich gegen die PDS profiliere. „Es ist falsch, PDS zu wählen. Demokratie heißt, zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden“, stellte Scharping klar. Jede Stimme für die PDS erschwere eine neue Bundesregierung. „Der Rest liegt in Ihrer Hand“, wurde er nicht müde, wieder und wieder auf Stimmenfang zu gehen.

Scharpings Auftritt war so, wie es ein Rentner leise zum Ausdruck brachte: „Seit der Wende greift man nur in Watte.“ Pustekuchen. Unerschütterlich wie Bundeskanzler Kohl verkündete Scharping (mit Kamillenkrawatte): „Politik ist konkret – mit uns.“ Auch die Frage eines spanischen Fernsehjournalisten nach den Gründen des Mitgliederschwunds bei der SPD hätte Kohl nicht besser abschmettern können: wie er denn darauf komme. Als Scharping von den tristen Neubauten entschwand, flüsterte eine Mutter ihrer kleinen Tochter mit Fingerzeig auf Scharping zu: „Das ist der Blödmann, den Mama gemeint hat.“ wahn