Wertediskussion

■ Alle reden von Qualität. Die Cologne Conference zeigt sie.

Der öffentlich-rechtliche Fernsehmann sah aus, als habe er auf eine Zitrone gebissen. Anlaß für die mimische Entgleisung war die Frage, warum kein Beitrag von ARD und ZDF zu den „Top ten“ des Kölner Fernsehfestes gehöre. Auch für die 4. „Cologne Conference“ hatte das Grimme-Institut, das das Festival organisierte, keine einzige deutschsprachige Produktion auserkoren. Erstaunlich, wenn man bedenkt, daß dasselbe Institut alljährlich neue Beiträge des hiesigen Fernsehschaffens ausfindig macht, die ihm den renommierten Grimme-Preis wert sind. „Bis auf den neuen Winkelmann- Film, der noch nicht fertig war, war nichts dabei“, sagt Grimme- und Festivalchef Lutz Hachmeister.

Sicherlich ist es ein Handicap für einheimische Programme, daß es sich bei der Top ten um deutsche Erstaufführungen handeln muß. Was aus 300 Produktionen ausgewählt wurde, kam zum größten Teil aus dem englischsprachigen Raum und hatte dort schon Erfolge verbuchen können. Ansonsten sind die Auswahlkriterien vage formuliert: Ein „herausragendes Ereignis“ aller Sparten und Genres, ein „überdurchschnittlicher Beitrag“ zur Entwicklung der Formensprache des Fernsehens und/oder „außergewöhnliche“ Recherche sind verlangt.

Bei der Zusammenstellung schien sich das Gremium an prominenten Namen und hohem Produktionsaufwand orientiert zu haben. Zum Beispiel „Tigrero“, eine Premieren-Produktion: In Mika Kaurismäkis Dokumentation wandeln Sam Fuller und Jim Jarmusch auf den Spuren eines gescheiterten Filmprojekts, das Fuller in den fünfziger Jahren im Amazonasgebiet realisieren wollte. Nicolas Roeg dagegen führte uns in seiner opulenten Verfilmung von Joseph Conrads Novelle „Herz der Finsternis“ mit John Malkovich in den Kongo. Ein Film in vergleichbar epischer Breite war „Dandelien Dead“, ein BBC-Mehrteiler über einen der prominentesten Kriminalfälle in der britischen Rechtsgeschichte. In den zwanziger Jahren entschließt sich der kauzige Hobbygärtner Herbert („Sorbert“) Armstrong statt des Löwenzahns seine Ehefrau mit Arsen zu beseitigen. Ein Krimi im Landhausmilieu, der sich viel, bisweilen zuviel Zeit nimmt.

Reine Freude dagegen Hanif Kureishis BBC-Verfilmung seines gleichnamigen Buches „The Buddha of Suburbia“, in der er selbst ironisch seine Jugend im London der siebziger Jahre thematisiert. Schade, daß ein Film wie dieser es hierzulande schwer hat, einen Käufer zu finden. In dem Glauben, der Witz ginge in der Synchronisation verloren oder wäre für das deutsche Publikum gar gänzlich unverständlich, schrecken die meisten vor dem Kauf zurück.

First-class-Fernsehen auch die bitterböse BBC-Politsatire „To Play the King“ (Regie: Paul Seed, Buch: Andrew Davies), die Fortsetzung des hier im SDR gezeigten „House of Cards“, mit Ian Richardson als skrupellosem, erzkonservativem Premierminister, der das Pech hat, auf einen liberalen König zu treffen. Auf deutsche Verhältnisse übertragen, hat man etwas vergleichbar Mutigfreches leider noch nicht gesehen.

Mit Spannung erwartet wurde „NYPD Blue“ (Regie: Gregory Hoblit), eine Cop-Serie der ABC, die Pro 7 gekauft hat. In ihrer Heimat löste sie wegen ihrer vulgären Dialoge sowie „gewagten“ Sex- und Gewaltszenen Kontroversen aus. Abgesehen von kulturellen Differenzen fragt man sich angesichts der erotischen Wagnisse, die von jeder 4711-Werbung in den Schatten gestellt werden, inwieweit die ABC-Marketingabteilung zu diesem Ruf beigetrug. Wenn auch weniger „richtungweisend“ als angekündigt, ist „NYPD Blue“ eine Serie, der mit häufig eingesetzter wackeliger Kamera, viel Musik und schnellen Schnitten Dynamik und vermeintliche Realitätsnähe verliehen wird.

Daß es zwischen Kinoqualität und Fernsehen kein Gefälle geben muß, bewies die kanadisch-amerikanische Koproduktion „Heads“. Der tolpatschige Held Franklin arbeitet darin für eine Provinzpostille, doch das heißt nicht, daß in dem Nest nichts los sei: In der Komödie voller makaber-überraschender Wendungen, die Regisseur Paul Shapiro in bonbonfarbene Bilder verpackt hat, werden nämlich zunächst die Pilze, dann die Bewohner zu kopflosen Opfern eines Serienkillers. In Köln war das Publikum so amüsiert, daß einige Pointen in den Lachern untergingen. Wann laufen die „Heads“ bei uns im Fernsehen? Sabine Jaspers