Liebe zur mobilen Heimat

Mit Gelsenkirchener Barock und „Zigeuner“-Tisch auf die eigene Mitte konzentriert: Der Dauercamper im Blick der Ethnographie  ■ Von Werner Trapp

Nicht wenigen Außenstehenden gelten sie als „verhinderte Kleingärtner“ und „Gartenzwergzüchter“, als unflexible Spießbürger, deren Horizont an Hollywoodschaukel und Jägerzaun zu Ende ist. Camping-Zeitschriften gar klagen mitunter über deren offene Diskriminierung, über Versuche, sie von ihren angestammten Parzellen zu vertreiben. Und Umweltschützer vermögen in ihrem Tun nicht mehr zu erkennen als den unsinnigen Verbrauch von Naturflächen und eine grobe Verschandlung der Landschaft.

Wenn von Dauercampern die Rede ist, jener Spezies, die einen Caravan meist ganzjährig auf der fest gemieteten Parzelle eines Campingplatzes zum Zwecke des „Freizeitwohnens“ stationiert hat, sind Emotionen und (Vor-)Urteile offenbar schnell bei der Hand. Soviel zumindest ist gewiß: „Dauercamping“ ist längst kein Randphänomen mehr – es prägt das Erscheinungsbild der meisten Campingplätze in Deutschland: 1990 standen dort circa 320.000 „Touristik-Stellflächen“ circa 450.000 Dauerstellplätze gegenüber; 703.000 deutsche Haushalte verfügten im selben Jahr über eine eigene Dauercampingparzelle.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt am Main haben sich nunmehr daran gemacht, dem Phänomen mittels ethnographischer Feldforschung zu Leibe zu rücken. Eines ihrer Ergebnisse: Campingplätze sind höchst differenziert zu betrachtende Soziotope. Ihr Zusammenleben wird durch eine Fülle von geschriebenen wie ungeschriebenen Regeln und durch ein ebenso vielschichtiges Netz von Selbsteinschätzungen und Fremdwahrnehmungen gesteuert.

Was zunächst überraschen mag: Auch Dauercamper betonen ihre (zumindest potentielle) Mobilität, brauchen das Gefühl, jederzeit an einen anderen Platz weiterziehen zu können. Ein erheblicher Teil von ihnen nutzt den eigenen Caravan nicht nur als fest installierte Zweitwohnung, sondern auch für den (auto-)mobilen Urlaub, andere haben sich zu diesem Zweck einen eigenen Zweitwohnwagen angeschafft. Und selbst wer, weil er inzwischen zu alt ist oder weil die „Mobil-Machung“ der eigenen Parzelle zu aufwendig wäre, nicht mehr „zieht“, verweist mit Stolz darauf, daß er früher „gezogen“ ist. Das „Ziehen“ mit dem eigenen Wagen rangiert so ganz oben auf der Werteskala der Platzgemeinschaften. Nicht zwischen den vermeintlich immobilen „Dauercampern“ und den „Urlaubscampern“ verläuft daher jene soziale Trennlinie, die dem eigenen Selbstverständnis zufolge „echte“ von „unechten“ Campern unterscheidet. Als echter oder auch „Urcamper“ gilt vielmehr derjenige, der die typische „Camperkarriere“ durchlaufen, sein Handwerk „von der Pieke auf“ gelernt hat: Er hat schon in den dreißiger Jahren, in der HJ, spätestens aber in der „Camping-Bewegung“ der fünfziger Jahre mit „Zelten“ angefangen, noch ohne Auto versteht sich, sondern zu Fuß, mit dem Rad oder mit der Bahn. Der „echte Camper“ hat sich den heutigen Wohlstand eines eigenen Wohnwagens durch die Erfahrung des noch wesentlich bescheideneren Zeltlebens somit „redlich verdient“. Und er ist hineingewachsen in die Strukturen des Camper-Lebens: Er achtet auf Ordnung und Sauberkeit in und um seinen Wohnwagen ebenso wie auf die Regeln der Platzordnung. Er ist kontaktfreudig, hilfsbereit, bescheiden, naturverbunden und weltoffen. Dieser gemeinsame Wertekodex dient nicht zuletzt zur Abgrenzung gegenüber der Gruppe der „Auch-Camper“, die bisweilen auch als „Schönwetter- Camper“ oder „Sommer-Camper“ bezeichnet werden. Diese sind wesentlich jünger, Kinder einer bereits entfalteten Wohlstandsgesellschaft. Sie beginnen aus einer Laune heraus mit einem meist teuren und luxuriösen Wohnwagen, sind egoistischer, halten sich weniger an die Platzordnung und müssen selbst zur Hilfsbereitschaft erst aufgefordert werden.

Speziell im Blick auf die Dauercampingparzelle unterscheidet der Ethnograph des bundesdeutschen Freizeitalltags drei Bereiche: den Außenbereich, ein öffentlicher Raum, der meist als Ziergarten genutzt wird und zu dessen Ausstattung neben Rasen und Hecken Plattenwege, Gartenmöbel, Hollywoodschaukel sowie Ziergegenstände wie Wagenräder, Wetterhähne und Gartenzwerge gehören; daran anschließend eine Sphäre der Halböffentlichkeit – das Vorzelt, meist als Wohnküche und Fernsehraum genutzt; schließlich den eigentlichen Privatbereich, den Caravan – Schlaf-, Aufbewahrungs- und Aufenthaltsraum zugleich und im Design der jeweiligen Möbelmode angepaßt. Noch immer beliebt scheint der in den sechziger Jahren aufgekommene „rustikale Stil“, der sogenannte „Gelsenkirchener Barock“.

Dieser rustikale Stil und andere „rustikale“ Accessoires wie Wagenräder und Holzschilder künden zunächst von der Sehnsucht nach dörflicher Idylle und einem einfachen, naturnahen Landleben. Doch das eigene Wochenendhaus auf Rädern vermag noch andere Wünsche zu befriedigen: den nach Repräsentation, nach Selbstdarstellung der Werte, für die man lebt, wie den nach Gestaltung, der sich über gärtnerische Betätigung vor allem im Außenbereich der Gefährte entfalten kann. Wer mit Dauercamping bislang vor allem räumliche Enge, eine rigide Platzordnung und eine im Vergleich zum häuslichen Wohnumfeld nicht minder rigide Kontrolle verband, wird durch die Studie eines Besseren belehrt. Wie alle Camper empfindet auch der Dauercamper sein Leben auf dem Platz als „frei“, weit freier zumindest als den Alltag in den eigenen vier Wänden. Dauercamping an Wochenenden erscheint als eine Art Bindeglied zwischen Alltag und Urlaub, verspricht Freiheit vom zu Hause empfundenen Zwang zur Betätigung, von gesellschaftlichen Verpflichtungen – eine „Oase frei disponibler Zeit“.

Das Gefühl von Freiheit auf der eigenen Parzelle verweist zurück auf die Wurzeln des Campings: die Jugendbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, die Kanubewegung der zwanziger und dreißiger, die frühe Campingbewegung der fünfziger Jahre. Das mobile Campen mit dem eigenen Caravan oder Reisemobil und schließlich das erstmals Mitte der sechziger Jahre registrierte Dauercampen erscheinen gegenüber diesen frühen, noch „wilden“ Formen von Unterwegssein und Natursuche als eine zunehmende „Verhäuslichung“ des ursprünglichen Freiheitsdrangs. Mobile wie Dauercamper zeichnen sich der Studie zufolge aus durch eine grundlegende Ambivalenz: Sie wollen mobil, flexibel und den Anforderungen der neuen Zeit angepaßt sein und lassen sich doch zugleich leiten vom Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit und Harmonie. Sie suchen nach „Freiheit“, reduzieren diese aber auf das private Glück im Rahmen fester Regeln einer Platzgemeinschaft. Romantisch überhöhen sie das „wilde Zigeunerleben“ – viele sprechen vom „Rumzigeunern“, eine in Köln-Deutz ansässige Firma gar preist den „idealen Campingtisch“ unter dem Namen „Zigeuner“ an – und teilen doch die gängigen Vorbehalte gegenüber den „wirklichen Zigeunern“: Auf vielen Campinglätzen gilt für diese sogar ein explizites Zutrittsverbot.

Und auch das verbindet beide Gruppen: Die frühe Sehnsucht nach dem Abenteuer scheint inzwischen domestiziert durch den Wunsch, „immer das Eigene – die vertraute Bettwäsche, das eigene Geschirr, den gewohnten Fernsehabend (via Satellit auch deutsches Fernsehen im Ausland) – bei sich zu haben“. Oder, wie es eine der Befragten formulierte: „Egal wo man ist, man ist immer irgendwie zu Hause.“ Die Aneignung des Fremden durch die Mitnahme des Wohnwagens, so die Herausgeberin Gabriele Hoffmann, verschafft somit eine egozentrische Perspektive: „Das eigene Haus bleibt Mittel- und Bezugspunkt und verkürzt so die Entfernungen.“ Dies erkläre auch die enge Beziehung zwischen der Mobilität des Campers und der Immobilität des Dauercampers: „Wird die Ferne zur Nähe gemacht, eignet man sie sich an. So wundert es nicht, daß die derart entstandene Nähe dann umzäunt und markiert wird.“ Beides, so ein wichtiges Fazit des Buches, sowohl das Reisen mit dem Caravan als auch das Dauercampen, ist so „auf die eigene Mitte zentriert, die es zu schützen und zu kennzeichnen gilt“. Im Wohnwagen ist man folglich nicht „auf allen Straßen der Welt zu Hause“ – wie es noch eine Caravan-Werbung Ende der fünfziger Jahre suggerierte –, „mit ihm ist das Zuhause auf allen Straßen der Welt“.

Gabriele Hoffmann: „Über den Zaun geguckt. Freizeit auf dem Dauercampingplatz und in der Kleingartenanlage“. Schriftenreihe des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1994.