Im trüben Gewässer parteipolitischen Werbeunsinns

■ betr.: Europawahlen

[...] Die Verhöhnung der WählerInnen und die Verballhornung von Sprache und Kultur scheint eine neue Spitze erreicht zu haben. Arbeit! Arbeit! Arbeit! schreit es von den Plakaten einer Partei, die sich stetig von den Wurzeln der ArbeiterInnenbewegung entfernt. Nicht zuletzt SozialdemokratInnen waren es, die ehedem dem Wahlkampf der DKP – zu Recht – vorwarfen, politische Problematiken zu sehr zu vereinfachen. Die Plakate der DKP lauteten damals: Löhne rauf! Mieten runter! – Gegen den Slogan der SPD scheinen diese allerdings bereits geradezu intellektuell.

Frieden für alle! ruft eine Partei, die für Waffenexporte in alle Welt steht und ebenso christlich wie demokratisch ist. Ehrlich wäre gewesen, das Plakat, das eine Persilfamilie beim Sonntagsspaziergang zeigt, noch um einen netten Artilleristen der Bundeswehr zu ergänzen, der in einer Sprechblase kundtut „Frieden für alle! Dafür garantieren wir in aller Welt mit Awacs und Leopard II! Wählen Sie Frieden – wählen Sie unsere starke Truppe!“

Beiden Großparteien, die wohl lediglich aus organisatorischen Gründen noch nicht fusioniert sind, ist zudem das Wahlkampfmotiv des Vaters mit seinem Kinde im oder über dem Wasser gemein: Während die SozialdemokratInnen über dem Bild eines auf dem Schmerbauch seines Vaters ruhenden Kinds in einem Ruderboot verkünden: Sicherheit statt Angst!, fotografiert für die ChristdemokratInnen ein Vater sein am Ufer planschendes Kind Für Europa! – wie dämlich.

Im Namen der Freiheit: Wir brauchen Europa! krächzt die Pünktchen-Partei. Ob wir für die Freiheit Europa brauchen – welch philosophisch und historisch merkwürdig anmutende Vorstellung! –, weiß ich nicht und wage auch, es zu bezweifeln. Die FDP brauchen wir jedenfalls dafür nicht, steht sie doch schon lange nicht einmal mehr auf dem Boden klassischer liberaler Grundsätze. Für die Partei der Besserverdienenden hätte die beauftragte Agentur lieber Im Namen der D-Mark: Wir brauchen auch europäische Spendengelder! auf die Plakate drucken lassen sollen.

Dann allerdings würde offenbar, daß der „Bund freier Bürger“, dessen Name schon eine der dümmlichsten Bezeichnungen für eine politische Organisation ist, wirklich nichts anderes als ein, wenngleich billiger Abklatsch der überflüssigen Gelb-Blauen ist: Wenn wir kommen, bleibt die D-Mark. Und bei wem?

Die NationaldemokratInnen sind da offener: Wir räumen auf! – Wer kann dazu schon nein sagen.

Die 1994 notwendigerweise amoklaufende PDS geht offensichtlich gar nicht mehr erst davon aus, daß WählerInnen ihre Programmatik interessant finden könnten. Die einzig wahren SozialdemokratInnen werben mehr damit, andere – und ganz gewiß schlimmere – zu verhindern: Jede Stimme für Links ist eine Stimme gegen Rechts. Recht haben sie – aber ob mensch sie deswegen wählt?

Die demokratischen ÖkologInnen versuchen die braune Konnotation, die ihnen anhängt, loszuwerden, indem sie sich alternativ gebärden: Europa. Es geht auch anders. – Wie anders, schreiben sie natürlich nicht, in jedem Fall immer schön systemkonform, denn sie wollen ja Ökologie auch für die Mitte wählbar machen. Die Mitte?

Die verbündnisten ÖkologInnen zeigen zwar sprachliches Verve, projizieren aber inhaltlichen Sumpf auf ihre Plakate: Lieber ein grünes Europa als eine zerstörte Welt. Wie wäre es statt dessen mit: Lieber Gummibärchen als Schokolade? : Lieber Hexenfurz als Teufelsdreck? Und wieso eigentlich „:“?

Daß das Gründnis 90 die nach der wirtschaftsgeilen Abkehr der CDU von den Grundsätzen des Konservatismus einzige konservative Partei ist, und das ebenso zu Recht wie attraktiv, wird an einem der wenigen sprachlich und inhaltlich interessanten Sätze des gesamten Wahlkrampfs deutlich: Wenn wir nichts ändern, bleibt nichts, wie es ist. Das ist wenigstens eine Aussage mit Substanz.

[...] Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten und andere Weisheiten nebst bewegungsorientierten Plakaten und der Zusicherung, nie einen Abgeordneten ins Parlament zu entsenden, die Wahlkampfkostenrückerstattung jedoch an regionale Antirassismusinitiativen, Flüchtlingsgruppen und Frauenprojekte auszuschütten, machen Die Unregierbaren – Autonome Liste da allerdings zu einer angenehmen Abwechslung im trüben Gewässer des parteipolitischen Werbeunsinns. [...] Sebastian Lovens, Münster