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Allerliebst beim Innenminister

■ Nicht zu kommerziell, nicht orchideenhaft: Der Bundesfilmpreis in Silber ging an Andres Veiels „Balagan“

Mitunter überfällt einen, während man noch zum Buffet schreitet, über einen Kollegen lästert oder den Kronleuchter durch bösen Blick auf die Veranstaltung herabzudonnern versucht, das Gefühl, es mit einer ungeheuren Harmlosigkeit zu tun zu haben. Der Bundesfilmpreis wird verliehen; alle sind da; alles ist falsch und irgendwie auch völlig richtig.

Der Innenminister, der den Preis verleiht, hat sich nur zwei der acht nominierten Filme kommen lassen (und zwar „Kaspar Hauser“ und „Abgeschminkt“) – so kennt man es und nicht anders (daß weiland Zimmermann seinen Achternbusch durchaus vorher gesehen hatte, ist autre chose). Der forsch-bayerische Produzent Bernd Eichinger, unser Mann in Hollywood, hat für das „Gesamtkonzept“ von „Das Geisterhaus“ eine der „Besonderen Auszeichnungen“ bekommen, und merkt zu Recht an, daß es ja wohl ein ganz klein wenig eigentümlich sei, wenn einem Film gutes Casting, gutes Drehbuch, guter Schnitt, gut, alles gut attestiert wird, der noch nicht einmal nominiert ist! Eine kleine Konzession also an den wohl schon lange antizipierten Vorwurf der Kinobetreiber, man ignoriere das Publikumsinteresse.

Aber wen schert noch dieser Vorwurf, wenn sowohl die Kleine von Garnier mit „Abgeschminkt“ als auch der diesjährig erfolgreichste deutsche Film, nämlich Peter Sehrs „Kaspar Hauser“ belobigt wurden (zweimal beste Regie und das Goldene Band für „Kaspar Hauser“). In beiden Fällen war der Erfolg wirklich erstaunlich: Von tausend Beziehungskomödien, die kein Mensch sehen will, hat diese eine funktioniert, einfach paar nette Mädels, einfach den Ton ein bißchen getroffen und schon gehen durchaus Leute in einen deutschen (Debut-)Film.

Bei „Kaspar Hauser“ mußte man ja zunächst auch annehmen, daß ein deutscher Kostümfilm das letzte ist, was Menschen wie du und ich in ihren Mußestunden zu sich nehmen wollen. Jede Wette, daß in diesem Fall das gekränkte Grundsentiment, das dieser Film ausstrahlt, plus sein Fichtennadelaroma und die generelle zärtliche Hinwendung zum 19. Jahrhundert mit seinen Woyzecks und anderen verschaukelten deutschen Michels in dieser Postwendezeit den Ausschlag gegeben haben.

So what? Ernsthaft gefreut hat unsereinen natürlich das silberne Band für Andres Veiels „Balagan“; bleibt zu hoffen, daß dieser ungekämmte Film über das israelische Stück „Arbeit macht frei“ und dessen innere Fliehkräfte zu weiteren Projekten in Sachen „zweite Generation“ führt. Angesichts des im Film gezeigten Frotzelns der Schauspieler über Ideen von jüdischer Auserwähltheit wirkte es schon fast wie eine Art Proporz, daß ein weiteres Band an Jan Schüttes „Auf Wiedersehen Amerika“ ging. Schütte, ein junger Deutscher, hat einige ältere Leute porträtiert, die von New York nach Berlin nach Polen und wieder zurück ziehen, wandernde Jidn, ein bißchen jiddischer Humor, ein bißchen Tabori, Schlemihln, Luftmenschen, katholische Mame, und schon stellt sich dies Gefühl „Trotzdem lachen sie“ ein...

Moderator Ilja Richter, der mittlerweile schon auf der Freilichtbühne von Wunsiedel im „Zerbrochenen Krug“ auftritt, hatte die passende Retourkutsche parat: „Das mag ein jüdischer Standpunkt sein, aber bestimmte Filme kann ich nur beschnitten ertragen.“ Ich fand's lustig; Kollegin Peitz winkte ab und hatte den Scherz schon ungefähr achzigtausendmal gehört.

Weitere Auszeichnungen gab es für den Kameramann von Wim Wenders' „Aus weiter Ferne“, Jürgen Jürges; den Darstellerpreis für André Eisermann, den Hauptdarsteller von „Kaspar Hauser“, der vor Freude wild um sich küßte. Für Christiane Hörbiger, die an beste und allerbeste Traditionen des deutschen Films anknüpft und sich allerliebst und blond onduliert beim Innenminister bedankte. Für Fee Vaillant, eine Ziehmutter von Erika Gregor und Pionierin des kommunalen Kinos, die kurz darauf hinwies, daß man mit der Jugend reden muß, auch über Neofaschismus. Endlich für Günter Rohrbach, ehemals Bavaria, heute Verleiher, aber in Wahrheit eine Art Leuchtturm des jungen deutschen Films, der befreienderweise ein paar deutliche Worte fand.

Logisch gibt das Theater des Westens mit seinen Lüstern, dem güldenen Stuck und den albernen kleinen Emporen und Treppchen dem ganzen diesen Staatsaktcharakter, der den mit insgesamt 3,5 Millionen Mark dotierten Bundespreis ohnehin schwer nach unten zieht. Man fragt sich immer, warum eigentlich ein Oscar oder ein César so viel mehr Prestige haben als der arme Bundesfilmpreis. Liegt's am Pomp, an den Sponsoren (Lambertz Keks, seit 1888), an der Zahl der Juroren?

Gegen die Jury konnte man dieses Jahr – wenn man mal von einer gewissen Ältlichkeit absieht – nix einwenden: unter anderem Peter Conradi (SPD), Hans-Dieter Seidel von der FAZ, Jutta Voigt von der Wochenpost. Sie haben weder zu kommerziell noch zu orchideenmäßig entschieden, und als man dann am Abend noch erfuhr, daß Berlin endlich einen neuen Filmbeauftragten hat, einen Mann auch noch mit dem Namen Keil – da betrank es sich recht angenehm.

Nur Peter Kern saß irgendwo abseits sehr schwer auf seinem Stuhl und murmelte hin und wieder: „Totengräber-Veranstaltung. Schaufeln sich ihr eigenes Grab.“ mn

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