Den Nerv der Partei getroffen

■ Bosnien, die Bundeswehr und die Bündnisgrünen: Der Konflikt ist kleiner, als viele der Akteure selbst glauben

Genau betrachtet war der bündnisgrüne Sonderparteitag zu Bosnien im letzten Jahr ein Betriebsunfall der Parteiregie. Er kam nur zustande, weil eine Zufallsmehrheit für eine Interventionsposition auf einem Länderrat mehrere Landesverbände nach einem Parteitag rufen ließ. Trotzdem hat der Konflikt den Nerv der Partei getroffen. Und genau betrachtet hat der letzte Parteitag der Grünen keineswegs den deutschen Austritt aus der Nato vorgeschlagen, und auch zur Auflösung der Bundeswehr heißt es im Programm eher diplomatisch: „Wir wissen, daß die Bundeswehr mit ihren bisher über 350.000 Soldaten nicht von heute auf morgen aufzulösen ist. Ihre Abschaffung ist ein Prozeß der Abrüstung und der Konversion, der politisch und gesellschaftlich schrittweise durchgesetzt werden muß.“

Genaugenommen ist Außenpolitik und in diesem Zusammenhang auch die Zukunft der Bundeswehr für die Bildung einer möglichen Koalition mit der SPD ein Thema minderen Ranges – auf kaum einem Feld werden sich so wenige substantielle Veränderungen durchsetzen lassen wie auf diesem. Und obwohl das so ist, sorgen die Stichworte Bosnien, Bundeswehr und Nato für die meiste Aufregung, ist kein anderes Thema bei Bündnis 90/Die Grünen emotional so besetzt.

Wenn Antje Vollmer beklagt, den Grünen gehe die leidenschaftliche Auseinandersetzung von einst mittlerweile ab, beim Thema Bosnien wird leidenschaftlich gestritten. Es gibt sogar Leute wie den NRW-Bundestagskandidaten Winnie Nachtweih, der glaubt, die Bosnien-Frage hätte die Partei spalten können – aber wo ist eigentlich der Bruchpunkt? Ist aus der früheren Trennungslinie Fundis versus Realos nun der Konflikt Interventionisten versus Isolationisten geworden? Die Schwierigkeit, meint Bundesvorstandsmitglied Helmut Lippelt, liegt in der Gemengelage.

Die einen sehen vor allem die Greuel des Krieges und fordern ein Eingreifen wie auch immer, nur das Gemetzel soll aufhören. Empört weist Marieluise Beck, die Hilfslieferungen nach Bosnien organisiert, darauf hin, der Sonderparteitag habe selbst bewaffnete Eskorten für Hilfstransporte abgelehnt – die Bundeswehrdebatte ist für sie zweitranging. Andere sehen vor allem, daß die Bundesregierung den Krieg in Bosnien dazu nutzt, die bisherigen Beschränkungen für die Bundeswehr zu schleifen. Nicht um aus der Bundeswehr eine Menschenrechtsinterventionstruppe zu machen, sondern um endlich wieder zu einer „normalen Armee“ zu kommen.

Die Partei hat sich erst einmal mit großer Mehrheit auf die sichere Seite geschlagen: keine Militärintervention in Bosnien und mithin keine Legitimation für eine Bundeswehr als bewaffneter Arm einer neuen deutschen Außenpolitik. Damit ist der Konflikt aber keineswegs beendet, denn auch die Mehrheit in der Partei läßt der Krieg im Südosten Europas nicht gleichgültig. Tatsächlich liegen die Positionen auch gar nicht so weit auseinander, wie es den Anschein hat. Wenn Marieluise Beck sagt, aus ihrer Sicht kann die Bundeswehr ruhig auf weniger als 100.000 Mann reduziert werden, die Hauptsache ist, daß ein Teil der dann verbleibenden Truppen zur Verhinderung eines drohenden Völkermordes eingesetzt werden kann, ist sie von Ludger Volmer nicht so weit entfernt, wie sie glaubt. Der meint, wenn sichergestellt ist, daß die Bundeswehr nicht als Instrument einer militarisierten Außenpolitik benutzt wird, sei auch eine deutsche Beteiligung an Blauhelmaktionen denkbar.

So eine Entwicklung müßte nur eingebettet in ein anderes außenpolitisches Konzept sein, ein Konzept, das in der öffentlichen Debatte immer unter dem Stichwort „Austritt aus der Nato“ bewußt mißverstanden wird, wie Volmer meint. Tatsächlich schlagen Bündnis 90/Die Grünen vor, nicht aus der Nato auszutreten, sondern sich im Rahmen des Bündnisses dafür einzusetzen, die Nato schrittweise in ein europäisches Sicherheitssystem zu überführen – offiziell in ein nichtmilitärisches. JG