US-Abgeordnete: Waffen für Bosnien

Repräsentantenhaus verlangt Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien und fordert Führungsrolle der USA ein / Clinton könnte zu einem peinlichen Veto gezwungen werden  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Die Freiheit von Fraktionsdisziplin ist ein markantes Merkmal des amerikanischen Parlamentarismus. Am Donnerstag bekam dies wieder einmal der Präsident zu spüren. Mit einer Mehrheit von 244 Stimmen, darunter 117 Mitglieder der Demokratischen Partei, forderte das US-Repräsentantenhaus Bill Clinton auf, das Waffenembargo gegen die bosnische Regierung unilateral aufzuheben. In einer streckenweise emotional aufgeladenen Debatte beschuldigten Republikaner wie Demokraten den Präsidenten, die amerikanische Führungsrolle in der Weltpolitik aufgegeben und moralische Prinzipien verraten zu haben.

Immerhin hatten sich die Abgeordneten des Repräsentantenhauses auf Drängen der Regierung schon vorher einmal bereit erklärt, diese Abstimmung um zwei Wochen zu verschieben. Andernfalls wäre Bill Clinton mit dem für ihn peinlichen Votum in der Tasche zu den Feierlichkeiten anläßlich des 50. Jahrestags der alliierten Invasion in der Normandie und zu seiner Rede vor der französischen Nationalversammlung angereist.

Vorerst hat das Votum für die unilaterale Aufhebung des Waffenembargos aber nur symbolische Bedeutung. Der Senat hat zwar einer ähnlichen Vorlage letzten Monat mit 50 zu 49 Stimmen zugestimmt. Eine ebenso knappe Mehrheit hob sie jedoch noch am selben Tag faktisch wieder auf, indem sie Präsident Clinton aufforderte, internationale Unterstützung für eine Aufhebung des Embargos zu suchen. Ein solches „Schlupfloch“ für die Administration wurde vom Repräsentantenhaus gestern mit klarer Mehrheit abgelehnt. Nun müssen sich beide Kammern des Kongresses auf eine gemeinsame Version einigen, die dann dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt wird. Um das dann zu erwartende Veto des Präsidenten zu überstimmen, fehlt in beiden Kammern die nötige Zweidrittelmehrheit.

Die Frage ist nun, ob sich die Clinton-Administration ostentativ von dem Kongreßvotum distanziert – oder den Druck aus der Legislative möglicherweise als Verhandlungsmasse nutzt, sollten sich die bosnischen Serben dem gestern in Kraft getretenen Waffenstillstand oder dem jüngsten „Friedensplan“ widersetzen, der ihnen 49 Prozent und der muslimisch-kroatischen Föderation 51 Prozent des Territoriums von Bosnien-Herzegowina überlassen würde.

Der offene Protest einer Mehrheit des US-Parlaments gegen die Bosnien-Politik des Weißen Hauses kommt zu einem Zeitpunkt, da die Clinton-Administration offensichtlich auf die Linie der französischen Regierung eingeschwenkt ist und ihrerseits wachsenden Druck auf die bosnische Regierung ausübt, den Krieg zu beenden. Frankreich hatte gedroht, seine knapp 7.000 Blauhelme aus dem ehemaligen Jugoslawien abzuziehen, falls bis zum Sommer kein Bosnien- Friedensabkommen zustande kommt. US-Außenminister Warren Christopher bestätigte am Donnerstag in Istanbul bei einem Treffen der Außenminister der Nato-Länder erneut, daß die USA bereit sind, Wirtschaftssanktionen gegen Serbien, den Hauptlieferanten von Waffen und anderen Nachschubgütern für die bosnischen Serben, zu lockern. Die muslimisch-kroatische Föderation verlangt entgegen dem vorliegenden Friedensplan 58 Prozent des bosnischen Territoriums.

Bosnien-Waffenstillstand tritt in Kraft

Sarajevo (AP) – Begleitet von Berichten der Kriegsparteien über heftige Kämpfe im Norden, ist gestern um 12.00 Uhr der Waffenstillstand für Bosnien in Kraft getreten. In der Gegend um Gracanica wurde bosnischen Angaben zufolge der serbische Artilleriebeschuß fortgesetzt. Es sei der schwerste Beschuß während der seit 15 Tagen laufenden Offensive, bei der die Serben noch vor Inkrafttreten des Waffenstillstandes noch Geländegewinne erzielen wollten. Auch Stellungen der bosnischen Armee im für die Serben lebenswichtigen Versorgungskorridor bei Brcko seien verstärkt unter Feuer geraten.

Das am Mittwoch in Genf unterzeichnete Abkommen untersagt lediglich offensive Militäroperationen für vier Wochen. Der UNO-Oberkommandierende in Bosnien, General Michael Rose, erklärte in Sarajevo: „Wir sehen den Anfang vom Ende des Krieges.“ Er räumte ein, daß die vierwöchige Feuerpause dazu benutzt werden könnte, sich auf erneute Waffengänge vorzubereiten. Die Serben wollten ihre Gebietsgewinne halten. Sie halten derzeit 70 Prozent Bosnien-Herzegowinas, sollen aber im Friedensplan der USA, Rußlands und der EU nur 49 Prozent erhalten.