■ Bonn apart
: Wie der Kanzler mal Drogen bekämpfte

Die deutsche und die kolumbianische Regierung haben zur Zeit ein Problem gemeinsam. Beide hadern mit einem Spruch ihres Verfassungsgerichts, der den Besitz einer geringen Menge illegaler Drogen entkriminalisiert. Die beiden obersten Gerichte sanktionierten mit ihrem Urteil zwar lediglich, was hier wie dort bereits gängige staatsanwaltschaftliche Praxis war, doch gilt für die Drogen wie für die Hurerei: erst öffentlich genossen werden sie zum Skandal. Und der Skandal wiegt um so schwerer, als in beiden Ländern Wahlkampfzeit ist. Was Wunder also, daß Kolumbiens Präsident César Gaviria als Sofortmaßnahme den Drogenkonsum in der Öffentlichkeit unter Strafandrohung stellte. Was Wunder, daß auch Bundeskanzler Helmut Kohl, dem kolumbianischen Beispiel folgend, spätestens zu dem Zeitpunkt dringenden Handlungsbedarf anmeldete, als mit Rolf Krumsiek ein sozialdemokratischer Justizminister dem Treiben der Kiffer und User den exekutiven Segen erteilte.

Mitte Mai rief der Kanzler seine Fachminister zu sich, um das Schlimmste zu verhindern. Zumindest der Genuß harter Drogen, so verlautete nach der Sitzung, solle weiterhin unter Strafe stehen. Um das Gesetz entsprechend zu ändern, wurde eine Arbeitsgruppe der Minister Seehofer, Leutheusser-Schnarrenberger und Kanther eingesetzt. Die öffentliche Wirkung der Ankündigung war enorm, ging es doch um die Verantwortung „für die Jugend in ganz Deutschland“. Der praktische Effekt hingegen tendiert gegen Null. Wie die taz aus dem Bundesgesundheitsministerium erfuhr, wurde noch keinmal getagt. Schlimmer noch, man sehe zur Zeit auch keinen Handlungsbedarf. Zunächst sollten sich die Länder auf eine einheitliche Festsetzung der geringen Menge einigen.

Diese Einigung ist allerdings nicht in Sicht, solange in deutschen Landen Wahlkampf herrscht. Doch auch danach ist zu bezweifeln, daß die Regierung die gesetzliche Regelung ändern wird. Denn sie wird dabei zwangsläufig das öffentliche Augenmerk auf den Umstand richten, daß sie erst vor zwei Jahren den straffreien Drogenkonsum ermöglicht hat, gegen den sie nun so vehement zu Felde ziehen will – und das, nachdem das Bundesverfassungsgericht ihn sanktioniert hat. Das Bundeskabinett ist mithin der Gefangene seiner eigenen Politik. Einen gleichermaßen möglichen wie fragwürdigen Ausweg aus diesem Dilemma zeigt wiederum Kolumbiens Präsident Gaviria auf. Er will, so konnte man dieser Tage in der Süddeutschen Zeitung lesen, einen Zusatz in die Verfassung aufnehmen lassen, der jeglichen Drogenkonsum verbietet. Das von ihm zu diesem Zwecke angestrebte Referendum hat allerdings einen Makel. Das Verfassungsgericht hat es bereits als verfassungswidrig eingestuft. An diesem Punkt endet der Vergleich der beiden Landesregierungen – vorläufig. Dieter Rulff