Die Europawahl: Stolperstein für Bonn

Die Angstkampagne der SPD für die Europawahl könnte zum Bumerang werden / Die CDU wirbt mit heiler Welt und ist dabei erfolgreich  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Da zucken wir doch richtig zusammen. Die Mafia in Europa zerschlagen! verlangt das Plakat, und die in Handschellen gefesselten geballten Mafioso-Fäuste erinnern daran, daß Europa nicht nur eine schöne Zukunft verheißt, sondern auch den Schrecken des organisierten Verbrechens. Es ist die SPD, die uns darauf aufmerksam macht und deshalb ihren irritierten Wählern „Sicherheit statt Angst“ verspricht.

Die Angst jedoch, die geht in diesen Tagen vor allem im Ollenhauer-Haus um. Die Wahlstrategen müssen inzwischen damit rechnen, daß der 12. Juni für die Sozialdemokraten nicht Meilen-, sondern Stolperstein auf dem Weg zur Bundestagswahl wird. Vor vier Wochen war sich Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen noch ganz sicher, daß die SPD keine Mühe haben würde, bei der Europawahl stärkste Partei zu werden. Denn 1989 lag die Union mit 37,8 Prozent nur eben einen halben Prozentpunkt vor der SPD. Vier Tage vor der Wahl aber sieht Verheugen nur noch ein „Kopf-an- Kopf-Rennen“ mit ungewissem Ausgang, und der SPD-Spitzenkandidat Klaus Haensch weist treuherzig darauf hin, daß vergleichbar nur die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl von 1990 sein könne. Da hatte die SPD nicht 37,3 Prozent, sondern bekanntlich nur 33,5. Und die Union war mit stolzen 43,8 Prozent nach Hause gegangen.

Der Kanzler wird sich am 13. Juni mit selbstzufriedener Miene vor die Presse setzen, ohne sich um diese Rechnerei zu scheren. Denn die Union, die vor dem Superwahljahr bei vielen im Verdacht stand, ihren Niedergang mit einer regelrechten Angstkampagne zu verhindern, hat mit ihrer Europa- Wahlkampagne bewiesen, daß sie von den Leuten einfach mehr versteht als ihre Kritiker: Denn wenn wirklich Angst herrscht, spricht man von Sicherheit. „Frieden für alle“, versichert die CDU Vater, Mutter, Kind und Hund beim Waldspaziergang in großen Lettern, während nur die kleinen Buchstaben (gegen Krieg, Gewalt und Terror in Europa) an schlimme Dinge anknüpfen. „Deutschland zuliebe“ prangt die deutsche Fahne auf einem anderen Plakat knallig vor der europäischen, und schon denken wir an die Nationalelf und nicht an die Nation. Und wie es nach der Europawahl bis zum Oktober weitergehen soll, sagt uns der Slogan „Sicher in die Zukunft – CDU“. Das Stimmungsbarometer Europawahl zeigt die SPD im Tief und die Union auf dem Weg zum Hoch. „Die SPD hat auf Angst gesetzt. Sie lag damit daneben“, bilanziert kurz vor dem Wahltag CDU-Generalsekretär Peter Hintze nicht ohne Süffisanz. Im Adenauer- Haus registrieren die Stäbe mit besonderer Genugtuung das Duell zwischen Kanzler und Herausforderer. Neben Wirtschaftsaufschwung und der Fehlerserie der SPD (Ergänzungsabgabe, Präsidentenwahl, Berti-Vogts-Schelte ...) verbucht die Union auf ihrer Habenseite einen unverwüstlichen Kanzler. Bei den Auftritten auf dem internationalen Parkett kann Scharping ohnehin und erwartungsgemäß nicht mithalten. Und mit seinen Besuchen in den neuen Bundesländern feiert Helmut Kohl Triumphe gerade dort, wo die SPD beste Voraussetzungen für die Aufholjagd zu haben glaubt. Europawahl, SPD-Parteitag und am 26. Juni die gewonnene Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, mit dieser Erfolgsserie wollte die SPD in die Sommerpause vor der letzten Wahlkampfrunde gehen. Je weniger davon bleibt, desto dringender braucht die SPD die Schwächen der Konkurrenz.

Folglich verweist man gerne auf die Schwierigkeiten der CSU, am Sonntag die Fünfprozenthürde zu schaffen. Schließlich wählt Bayern im September. Vor allem aber geben die Nöte der Liberalen genug Stoff für die Vermutung, daß Helmut Kohls Koalition keine Mehrheiten mehr findet. Für die FDP (1989: 5,6 Prozent, 1990: 11,0) sehen die Auguren schwarz, und selbst die Parteispitze scheint auf Europaparlamentssitze nicht viel zu verwetten. Freilich hofft sie um so mehr auf den Effekt, daß ein Scheitern im Juni die Wählerschaft im Oktober mobilisiert. Die SPD hat dagegen vor allem mit neuen Problemen zu kämpfen: Je mehr sie sich am Niedergang der FDP die Hände wärmt, desto unglaubwürdiger wird ihre Koalitionspolitik. Von den möglichen Partnern, unter denen Scharping im Oktober aussuchen möchte, blieben nur die Grünen.

Doch noch ein Wahlkampf des christlich-liberalen gegen das rot- grüne Lager? Das Bündnis 90/Die Grünen, das, wie Spitzenkandidatin Claudia Roth klagt, als einzige Partei diese Wahl als europäische ernst nimmt, wird am Montag mit einem guten, vielleicht zweistelligen Resultat im Rücken darauf drängen.

Die Grünen übrigens bleiben skeptisch in der einzigen Frage, in der Union und SPD gemeinschaftlichen Optimismus verbreiten. Die „Republikaner“ schaffen es nicht wieder, sagen Hintze und Verheugen. Fest steht indessen, daß annähernd 40 Prozent der Wähler vor einer Woche noch nicht wußten, ob und wen sie wählen sollen.