Exodus der Leistungsträger?

■ FC St. Pauli: Nach der 1:4-Schlappe in Wolfsburg droht die Mannschaft auseinanderzufallen

Seppo Eichkorn kann nicht verstehen, daß er auf einmal der Sündenbock sein soll. „Wir haben eine hervorragende Saison gespielt, nur mit dem letzten Spiel bin ich nicht zufrieden. Wir wollen uns nun verstärken und einen neuen Anlauf nehmen“, äußerte der Übungsleiter des FC St. Pauli nach der desolaten Leistung seiner Mannschaft bei der 1:4-Schlappe gegen den VfL Wolfsburg.

Angesichts der Ausgangsposition seiner Equipe zu Beginn der Spielzeit, als die Mehrzahl der Experten einen zweistelligen Tabellenplatz prognostizierten, hat Eichkorn zweifellos recht. Platz Vier ist für einen Verein, der im Vorjahr beinah abgestiegen wäre, ein Erfolg. Doch der 37jährige Fußballlehrer, dessen Demission im Oktober bereits beschlossene Sache schien und der nur wegen einer Soli-Aktion der Mannschaft im Amt blieb, steht im Kreuzfeuer der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, durch falsche Taktik und Fehler in der Menschenführung in der entscheidenen Phase, am siebtletzten Spieltag, einen 5-Punkte-Vorsprung vor den jetzigen Aufsteigern Bayer Uerdingen und 1860 München leichtfertig verspielt zu haben. Umstritten auch seine Maßnahme den Stürmer Martin Driller und Torwart Andreas Reinke zu suspendieren: „Ich habe es sowieso nicht verstanden, wieso der Trainer zwei Spieltage vor Saisonschluß noch einen Torwartwechsel vorgenommen hat“, nahm Ersatzkeeper Klaus Thomforde, der gegen Mannheim und Wolfsburg zwischen den Pfosten stand, kein Blatt vor den Mund.

„Wir müssen uns von diesem Schock erst einmal erholen. Die weiteren Folgen des Scheiterns sind noch nicht abzusehen“, erklärte Klub-Präsident Heinz Weisener nach dem Spiel in Wolfsburg, dessen Ergebnis – angesichts des Erfolgs der in der Tordifferenz besseren 60er in Meppen –, eigentlich nur noch statistischen Wert hatte. Fünf Millionen Mark weniger als bei einem Aufstieg wird der mit elf Millionen Mark verschuldete Verein in einer weiteren Zweitligasaison einnehmen. Sechs Leistungsträger möchten den Verein verlassen. Neben Andreas Reinke, der auf die Ersatzbank vom 1. FC Kaiserslautern wechseln wird, Martin Driller, den es nach Paderborn ziehen soll, haben noch Mittelfeldspieler Carsten Pröpper, Libero Dirk Dammann, Stürmer Marcus Marin und – man höre und staune – Eisenfuß Dieter Schlindwein Angebote von anderen Vereinen. Bernd Hollerbach scheint sich auch schon in Richtung 1860 München veranschiedet zu haben. Zu deutlich seine Kritik nach der Wolfsburger Niederlage: „Die Mannschaft ließ einfach den Charakter vermissen“.

Finanziell ist der Verein nach dem offensichtlichen Scheitern der St. Pauli-Finanz-KG – einem Fonds der die Werberechte bis 1999 für etwa 9 Millionen Mark erwerben sollte – weiterhin auf Gedeih und Verderb auf Präsident Heinz Weisener angewiesen. Der 65jährige Architekt bürgt für einen Großteil der Schulden, bezahlt leitende Angestellte des Vereins und zuweilen auch mal die Transfersummen für Neuverpflichtungen. Zusätzliche Einnahmen, von denen sich Seppo Eichkorn die so dringend benötigten Verstärkungen kaufen könnte, sind indes nicht in Sicht. kader/beag

VfL Wolfsburg: Zimmermann – Lieberam (79. Fiebich) – Jensen, Kleeschätzky – Gerstner, Brunner, Emig, Akrapovic, Dammeier – Holze (81. Ockert), Winter.

FC St. Pauli Thomforde – Dammann – Fröhling (46. Manzi), Schlindwein – Gronau, Stanislawski, Pröpper, Hjelm, Hollerbach – Marin, Scharping.

Schiedsrichter: Dardenne (Mechernich) –

Zuschauer: 13 264 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Winter (15.), 2:0 Emig (44.), 3:0 Holze (46.), 3:1 Marin (50./Foulelfmeter), 4:1 Gerstner (72.) Gelb: Jensen, Lieberam/ Hollerbach, Hjelm, Schlindwein, Manzi