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■ SoundcheckChorea / San Bakan / Karl S.Blue and his Magic Quells / Canned Heat / Tocotronic

Gehört: Chorea. Indischer Beginn des „Reigens“ (Chorea): zwei Stunden Goa-Tekno und Ambient-Trance – schwer zu überstehen, ohne einzuschlafen. Pädagoge in den Mittvierzigern setzt sich lächelnd auf den Boden. Anhaltendes Glockengeläut ruft zur Messe mit Eisenvater. Schwer schrummen die Gitarren, die Frühphase der legendären Swans fast erreichend, spielen die eisernen Väter mit Popstrukturen, schwer metallisch intoniert. Die Tekkno-Fraktion zieht sich in den Chill-Out-Room, zum Schwarzlicht, zurück. Schon kriecht langsam Nebel durch die Flora. Die roten Socken husten, doch bleiben standhaft. Engin-Ear bringt mit härterem Detroit-Tekkno Heldentum auf den Dancefloor. Der schlechte Mix wird ignoriert. Pädagoge entschwindet rechtzeitig. Danach – endlich – Tekkno-Rodeo: Über der Bühne ICU – „I see you“ – (Gus Ferguson und Yed Eye von Test-Department), unten die Herde. Deren Hufschlag und Leiberzucken geht im Trockeneis, im Laserlicht, im Gedränge, im mächtigen Gebrüll der Baßboxen unter. Der Sog entsteht. Der Rhythmus macht kopflos. Kein überflüssiges Sample. Kein Schnörkel. Direktes Eindringen. Kraftvoller Tekkno – weiterentwickelt aus Underground Resistance-Könnerschaft und ohne turntables live produziert. Geht in das Innere des Körpers. Synchronisiert sämtliche organischen Vorgänge. Umschließt die Menge. Rote Flora unter einem Takt – bis zum Morgen. iiiiiiiGreta Eck

Gehört: San Bakan. Ihr Versprechen hat die Hamburger Latin-Combo San Bakan gehalten. Mit einer rauschenden Fiesta hat das elfköpfige Ensemble seine erste CD Salsa Rica vorgestellt. Für die zahlreich erschiene Gemeinde waren die verschiedenen Rhythmen – mit den feinen Nuancen aus Merenque und Cubia – eher zweitrangig.

Das tanzfreudige Publikum brauchte in erster Linie Feuer unter den Füßen und ein prickelndes Gefühl im Bauch. Mit souveräner Professionalität lösten die aus sechs Nationen stammenden Musiker diese Aufgabe.

Und den jungen Musikern – alle sind um die dreißig – war der Spaß an der Sache sichtlich anzumerken. Son Bakan hat aber auch das Glück, mit dem Sänger Roly Richardson die ideale Besetzung gefunden zu haben. Denn der aus der Dominikanischen Republik stammende Mann besitzt nicht nur das Charisma, das für diese markante Position von Bedeutung ist, sondern er hat auch die Stimme, die die einlullende Musik mit sentimentalen Texten untermalt.

Nikos Theodorakopulos

Gehört: Karl S. Blue And His Magic Quells. Vier Rock'n Roll-Taranteln brachten im MarX mit Krach und elegantem Wimperzucken das Haus herunter. Karl S. Blue und seine Magic Quells wollten die Macht und lieferten den Stoff, aus dem die Passion gemacht ist.

Dies war ein Abend, von dem man seinen Kindeskindern noch erzählt. Und deren Kindern. Auf offener Bühne packte die Gruppe ein Riff für Marlon Brando, eines für den Sänger der Cramps, Lux Interior, und eines für Achim Reichel von 1964 aus. Zu dem Quartett gehören Leute, die zur Wahrheitsfindung ab und an anderen vor das Schienbein treten müssen. Das gehörte nicht nur dazu, sondern konnte nur durch verstärkte Ehrerbietungen von Publikumsseite gebührend zur Kenntnis genommen werden. Die Quells sind Eleganzlinge, ihre Zuhörerschaft rekrutiert sich aus PhilosophInnen. Sie alle mögen groß und stark werden. Tutti Frutti, oh Karl!

Kristof Schreuf

Morgen abend: Canned Heat. 1967 wurde die Rhythm'n'Blues Combo gegründet, im reifen Alter sind die fünf Herren jetzt On The Road Again. Die '68er dürfte die Auferstehung der legendären Gruppe in Wehmut undNostalgie versetzen. Denn es ist nicht zu leugnen, daß ihre Popularität Ende der Sechziger ihren Höhepunkt erreicht hatte. Ihr Auftritt in Woodstock ist inzwischen eine Legende geworden. Daß die Band in den folgenden Jahrzehnten in der Versenkung verschwand, hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß Canned Heat eine Gruppe für kleine Clubs geblieben ist. Hinzukommt, daß sie, die Hits wie „Let's Work“ schrieben, konsquent an ihrer Rock- und Country-Blues-Fusion festhielten; in der Disco-Ära eine unkommerzielle Musikrichtung. Inzwischen sind aber auch in den USA die meisten Discos wieder zu gängigen Clubs umfunktioniert worden. Ein gutes Argument für ein Comeback von Canned Heat, das nicht nur von Alt-68ern und Nostalgikern zur Kenntnis genommen werden sollte.

Nikos Theodorakopulos

Fabrik, 21 Uhr

Morgen abend: Tocotronic. Wer nach Kurt Cobains finalem Rettungsschuß adäquate und vor allem noch nicht suizid-gefährdete Ersatz-Idole sucht, könnte bei Tocotronic dem Post-Nirvana einen Schritt näher kommen. Dies gilt zumindest für den Großraum Hamburg, denn hier erliegt man als feinfühliger Pop-Rocker bereits seit Wochen dem Charme des Hamburger Trios. In einer gitarrenfrustierten Gesellschaft hat so etwas eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Nicht umsonst gibt es schon jetzt eine fanatische Gemeinde, die sich mit Band-Devotionalien eindeckt und eifrig das Fan-Magazin Der Master- plan konsumiert. Daß die Gruppe nun auch noch eine Single veröffentlichte, dürfte die Anhängerschaft vollends willenlos machen. Wenn wir ehrlich sind: BeiTocotronic greift das Fänger-im-Roggen-Syndrom, sie machen den Soundtrack für überreflektierende Teenager, die ihre positive Energie daraus gewinnen, sich mit ihren Gedanken im Wege zu stehen.

Jan-Christoph Wolter

Heinz Karmers Tanzcafé, Budapester Straße 5, 21 Uhr

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