Wie Bremen demokratischer werden soll

■ Vorschläge des Grünen-Sprechers Mützelburg zur Reform der Bremer Staatsverfassung: Weniger Parteienmacht, weniger Abgeordnete, mehr Bezirksverwaltung / Präsident statt Bürgermeister?

Der Viertel-Bürgermeister Hucky Heck stand in Bremen für die lautstärkste Kritik am mangelnden Einfluß der Ortsämter und der Stadtteil-Beiräte; sein Rücktritt hat die Diskussion um die Verfassungsreform des Zweistädtestaats neu belebt. Im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit steht dabei das Thema „Verkleinerung der Bürgerschaft“ – das ist die sichtbarste Seite der bremischen Staatsverfassung. „Eine Formalie von hohem Symbolwert“, sagt dazu die grüne Fraktionssprecherin Karoline Linnert, hinter der aber viel Problematik der bremischen Kommunaldemokratie steckt. Deshalb: Die Bürgerschaft verkleinern „einfach nur so – das will ich nicht.“ „Unverantwortlich populistisch“, sagt auch der FDP-Abgeordnete Adamietz, sei die Forderung nach Halbierung des Parlaments.

Viel wichtiger als die Frage, ob 51, 75 oder 100 Abgeordnete in der Bürgerschaft sitzen, ist für die bremische Demokratie zum Beispiel das festgefügte Listenwahlrecht. Wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin einmal einen bestimmten Listenplatz aufgrund der internen Kalküle einer Partei bekommen hat, dann kann das Wahlvolk nichts mehr machen. Platz eins ist immer gewählt, Platz 55 der Liste hat keine Chance, selbst wenn die Person noch so qualifiziert und/oder populär wäre.

Das muß nicht so sein: Das Wahlrecht in Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg wagt da sehr viel mehr Demokratie als das sozialdemokratische Bremen. „Personalisiertes Listenwahlrecht“ heißt deshalb die Reformforderung des Grünen Dieter Mützelburg. Das würde bedeuten: Wer die Partei „P“ wählen will, aber nicht deren Kandidaten 10, der kann seine Stimme der Person auf Platz 55 geben. Wenn sie mehr persönliche Stimmen bekommt als Kandidat 10, ist sie vor ihm „drin“. Die Folge: Nicht mehr die Parteien entscheiden über die Zusammensetzung des Parlaments, sondern die WählerInnen.

Die Frage der Größe des Parlaments hat den Ausschuß Verfassungsreform lange beschäftigt.

Wenn die Zahl der Abgeordneten auf 51 festgelegt wird – das wäre durch einfaches Gesetz möglich, gehört aber zum Thema „Verfassungsreform“ – dann hätte eine 5-Prozent-Partei nur drei Abgeordnete. Man muß nicht an den Fall einer großen Koalition denken, um sich klarzumachen, daß Demokratie mit derart kleinen Minderheiten-Fraktionen nur funktioniert, wenn die ParlamentarierInnen full-time arbeiten können. Damit, so stellte der Verfassungsausschuß fest, wäre aber keine Kostenersparnis durch die Parlamentsreform möglich. Die Kosten für die Demokratie zu verringern ist aber das entscheidende Argument der Verkleinerungs-Debatte.

Ein anderes entscheidendes Argument sprach gegen die Zahl „51“: Um bei insgesamt nur 10 Bremerhavener Abgeordnetenplätzen ins Landesparlament zu kommen, müßte man schon 10 Prozent der Stimmen im Wahlkreis Bremerhaven haben – statt einer 5-Prozent-Klausel de facto also eine 10-Prozent-Klausel. Das wäre verfassungswidrig, eine Verschmelzung der Wahlkreise aber gegen Bremerhaven politisch nicht durchsetzbar. Für den Ausschuß war das Thema damit erledigt.

In diesem Frühjahr hat nun der frühere Verwaltungsgerichtspräsident Kuhlmann ein Gutachten vorgestellt, nach dem eine Zahl von 65 oder 75 Abgeordneten durchaus rechtlich vertretbar wäre – wenn für den Fall einer 5-Prozent-Partei in Bremerhaven ein „Überhangmandat“ vorgesehen würde. Diese Position hat der FDP-Verfassungsreformer Adamietz jüngst aufgegriffen und mit dem Segen der FDP vorgeschlagen.

Die Grünen wollen heute Nachmittag beraten, was sie davon halten. Hermann Kuhn, grüner Vertreter im Verfassungsausschuß, ist dagegen. Sein Argument: Das wäre eine Schwächung der Volksvertretung gegenüber dem Apparat. Nur wer aus dem öffentlichen Dienst kommt, erhält in Bremen volles Geld. Die „Halbtags“-ParlamentarierInnen, die die Regierung kontrollieren sollen, haben einen 12-Stunden-Tag. „Noch ein Viertel mehr arbeiten, wenn die Fraktion um ein Viertel verkleinert wird – das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Kuhn, „das geht auf Kosten der Qualität der Arbeit.“ Seine Fraktions-Kollegin Linnert sieht das genauso: „Das Thema ist ungeheuer populär, aber das politische Signal muß sein: die Legislative stärken, nicht schwächen.“

Insbesondere wenn, wie der Grüne Dieter Mützelburg vorschlägt, der Bürgermeister nach dem Präsidial-Prinzip direkt gewählt wird, würde diese Reform eine weitreichende Stärkung der Exekutive auf Kosten der Volksvertretung darstellen. Das Thema hängt deshalb unmittelbar mit der Frage zusammen, wie die untere Ebene der Stadtteil-Vertretungen gestärkt werden kann. „Ausweitung der Rechte der Beiräte oder Bezirksstrukturen“ ist deshalb für Linnert die Frage.

Mützelburgs Vorschlag: Einzelne Beiratsgebiete sollen zu Bezirken zusammengefaßt werden mit „direkter Wahl der Ortsbürgermeister“. Primar- und Sekundar-I-Schulwesen sollen den Bezirken unterstellt werden, die sozialen Dienste, in den Stadtteilen außerhalb des Zentrums auch die „örtlichen Verkehrswege“. Entsprechend können die zentralen Verwaltungen aufgelöst werden. Eine Trennung von Landesebene und Bremer Kommunalebene, wie Heck es vorgeschlagen hatte, lehnt Mützelburg dagegen ab. „Noch höhere Trennungskosten“ würden dadurch entstehen und „kein Demokratiegewinn“.

Dieses Argument könnte für den Grünen Kuhn aber schon gegen die Einführung von Bezirken überhaupt sprechen. Denn klar ist, daß das Thema „Ausweitung der Beiratsrechte“ damit vom Tisch ist. „Die vier Bezirke (Bezirksverwaltungen und -vertretungen) wären keine wirklich lokalen Organe“, sagt er, sondern „relativ künstliche Gebilde“. Daß eine „zusätzliche Verwaltungsebene“ mit den unvermeidlichen Abstimmungsproblemen Einsparungen bringen würde, „bezweifle ich mit Blick auf die Eigenheiten deutscher Verwaltungen stark“. Adamietz ist da genauso skeptisch und fürchtet eine Aufblähung der Verwaltung: „In jedem Bezirk wird als erstes das Rathaus gesucht.“

Welche Kompetenzen die derzeitigen Beiräte im Gegenzug zu der Verkleinerung und Schwächung der zentralen Volksvertretung bekommen könnten, ist aber noch offen.

In einer anderen Frage, die mit der Staatsverfassung Bremens zusammenhängt, hat es in den letzten Wochen ein Tauziehen hinter den Kulissen gegeben. Eine „Richtlinienkompetenz“ des Bürgermeisters, so war im Ausschuß vor einem Jahr noch klar, sollte es nicht geben. Nach der zweiten Lesung der kleinen Verfassungsreform, mit der die Bürgerschaft die Voraussetzungen für eine große Reform schaffen will, kam der SPD-Ausschußvertreter und designierte Finanzsenator Fluß dann und berichtete, es sei „Wedemeiers Wunsch“, die Richtlinienkompetenz jetzt doch einzuführen. Im antidemokratischen Stammtisch-Bewußtsein gilt „Richtlinienkompetenz“ als Voraussetzung für einen starken Mann an der Spitze, der Interessenstreit und Diskussionenen auch ohne überzeugende Argumente beenden kann. Bremen hat demgegenüber traditionell eine „kollegiale“ Senatsverfassung. Nebeneffekt: Die „Minister“, also die SenatorInnen, werden in Bremen nicht vom Präsidenten des Senats bestimmt, sondern vom Parlament, das heißt in der Regel: von den Regierungsfraktionen. Mit der „Richtlinienkompetenz“ würde Wedemeier letztlich also auch die lästige Mitsprache seiner Partei und der SPD-Fraktion auf die Regierungsbildung abschütteln; das Parlament würde den Senat nicht mehr wählen, sondern nur noch „bestätigen“. Weil das Thema „Richtlinienkompetenz“ derart weitreichende Konsequenzen hat, wurde es für die aktuelle kleine Verfassungsreform erstmal wieder zu den Akten gelegt. Wedemeier soll darüber so verärgert gewesen sein, daß er nun auch auf eine vorgezogene Wahl des Bürgermeisters direkt durch das Parlament keinen Wert mehr legt. Bisher wählt der Senat als Kollegial-Organ erst seinen „primus inter pares“ zum Präsidenten des Senats. Die Direktwahl durch das Parlament hätte seine Funktion wenigstens symbolisch herausgehoben.

Zusammen mit dem Thema „Beiräterechte“ und Parteieinfluß auf die KandidatInnen-Listen bildet die Machtverteilung innerhalb des Senats ein Knäuel von Problemen der Bremer Verfassungsreform, über das die Meinungen quer durch alle Parteien auseinandergehen.

Klaus Wolschner