Der Zentralismus schleicht sich durch die Hintertür

■ Bezirke erhalten mehr Kompetenzen bei der Stadtplanung, doch der Senat behält sich massive Eingriffsrechte vor / Rat der Bürgermeister erstmals mit Vetorecht

Was hatten die Planer alles im Gepäck: Die Zusammenlegung der manchmal kontraproduktiv arbeitenden Senatsverwaltungen für Bauen und Stadtentwicklung war angedacht. Vom Hochbauamt war die Rede. Den Bezirken wollten die Politiker enorme Rechte einräumen – oder nehmen. Die Festschreibung erweiterter Bürgerbeteiligungen wurde gefordert. Doch der Reformdampfer bewegte sich kaum: Weitreichende Veränderungen, wie etwa die Zusammenlegung der drei Senatshauptverwaltungen für Bauen, Stadtentwicklung und Umweltschutz sowie Verkehr oder die Einrichtung eines Landeshochbauamtes, wird die geplante Verwaltungsreform im Baubereich nicht bringen. Strittig in der Berliner Koalition ist nach wie vor, ob die Senatsverwaltungen für Verkehr und Stadtentwicklung fusionieren werden. Die Einrichtung eines zentralen Hochbauamtes dagegen ist vom Tisch.

Die politischen Signale der Reform weisen in eine andere Richtung. Der Auftrag der Verwaltungsreform beinhalte „nicht die Konzentration von Aufgaben oder ihre Zentralisierung“, sagt Frank Bielka, Staatssekretär beim Berliner Bausenator. Das Gegenteil sei der Fall, behauptet der SPD-Politiker, ziele doch die Verwaltungsreform auf die Stärkung der Bezirke und ihrer Handlungsfähigkeiten: Angelegenheiten, für die nach dem Baugesetzbuch die Gemeinde zuständig ist, sollen, nach den Vorstellungen der CDU/SPD-Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus, vom Bezirk wahrgenommen werden. Die Bezirke sollen die Bebauungspläne aufstellen, die Bürgerbeteiligung gewährleisten und die Pläne schließlich festsetzen. Ebenso kann das Bezirksamt Landschaftspläne entwerfen. Die Erweiterung der Kompetenzen beinhaltet zudem, daß Bauvorhaben von einem Volumen bis zu zehn Millionen Mark vom Bezirk eigenverantwortlich durchgeführt werden können. Bisher durfte der Bezirk Baumaßnahmen mit einem Kostenrahmen von rund einer Million Mark selbständig durchführen. Dem Zuckerbrot zur Erweiterung der Bezirksrechte folgt jedoch die Einschränkungs-Peitsche in großem Umfang auf dem Fuß: So können die Senatsverwaltungen – gemeinsam mit dem Bund – alle Aufgaben übernehmen, die in den Bereich der Hauptstadtplanung fallen. „Im Benehmen mit dem Rat der Bürgermeister“ kann die zuständige Senatsverwaltung auch Planungsverfahren an sich ziehen, die „Anlagen der Ver- und Entsorgung mit gesamtstädtischer Bedeutung, die überbezirkliche Verkehrsplanung, übergeordnete Standorte des Gemeinbedarfs“ und große Wohnungsbauvorhaben beinhaltet. Widersprechen die Bezirksbürgermeister allerdings mit einer Dreiviertelmehrheit, müssen diese Beschlüsse vom Abgeordnetenhaus abgesegnet werden – was bei den derzeitigen Machtverhältnissen dem Senat kaum Probleme machen dürfte.

Die zentrierende Kraft, die diesen Einschränkungen innewohnt, sieht auch Frank Bielka. Der Reformvorschlag sei „im Ringen um Zentralität und Dezentralität“ entstanden, wobei „problematische“ Positionen für die Bezirke noch nicht gelöst scheinen. Dennoch sei Berlin eine „Einheitsgemeinde und kein Städtebund“, trotz seiner dezentralen Struktur. Isolierte Entwicklungen und Planungen führten zum Verlust gesamtstädtischer Funktionen und Prozesse. Die Auflösung der Stadtregierung Londons, erinnert Bielka, habe die Planungshoheit der „Boroughs“ (Bezirke) zwar nominell gestärkt, faktisch aber ihre Position gegenüber der nationalen Regierung und den neugegründeten privaten Gesellschaften geschwächt. Das Fehlen einer zentralen, weisungsbefugten und materiell gut ausgestatteten Institution habe in London „chaotische“ Zustände produziert.

Der Verzicht auf die Einrichtung eines Landesamtes, befürchtet Horst Porath (SPD), Baustadtrat in Tiergarten, bedeutet nicht, daß sich der Senat endgültig vom Gedanken an zentrale Behörden verabschiedet hat. „Die Einschränkung der bezirklichen Kompetenzen ist das Hintertürchen“, so Porath, durch das der einstmals diskutierte Zentralismus hereingeschlichen komme. Zum Nachteil für den Bezirk entwickelten sich nicht nur die Hauptstadtplanung, die überörtlichen Verkehrswege, große Dienstleistungs- und Industrieansiedlungen. Entscheidend sei außerdem, daß die Richtlinien der Reform „interpretierbar“ seien und damit kaum Planungssicherheit bestünde. „Alles bleibt grau und schwammig“, kritisiert Porath. Eine eigenverantwortliche Planung bedeutet für den Baustadtrat noch lange keine Unvereinbarkeit mit den haupt- und gesamtstädtischen Interessen. Vielmehr komme es darauf an, wie diese „vor Ort“ und mit dem Ort abgewogen und entschieden würden.

Für eine gänzlich andere Struktur der Verwaltung und die Schaffung neuer Instrumente zur Durchsetzung einer Planungsreform plädiert der Architekt Jörg Rheinländer, Mitglied der Bürgerinitiative Westtangente. „Die Reform ist ein Reformgrab, weil alle bezirklichen Rechte durch Sonderrechte ausgehöhlt werden können.“ Notwendig sei ein neues „Management“ der bezirklichen und gesamtstädtischen Interessen, das die verkrusteten bürokratischen Strukturen ablöse. Rheinländer plädiert für bezirkliche und quartiersnahe Planungsgremien und Institutionen. Eine „Reform“ zeuge nur dann von Fortschrittlichkeit, wenn Planungsprozesse „induktiv“ umgesetzt würden. Rolf Lautenschläger