■ Kranzabwurf verhindert
: Kein Homo-Bitburg

Der mittlerweile zwei Jahre alte Streit um die richtig gesinnte Christopher-Street-Day-Demo – Unter den Linden die angeblich „bürgerliche“, im Wedding die „politische“ – hätte auch viele Lesben und Schwule nicht mehr interessiert. Wäre da nicht die Neue Wache gewesen. Die steht für den Geist von Bitburg und für die Instinktlosigkeit und tumbe Machtausübung eines Kanzlers Kohl im Zenit seiner Selbstgefälligkeit. Und für die infame posthume Mißhandlung der Künstlerin Käthe Kollwitz, deren Skulptur dort nun für alle Zeiten als Denkmal einer unverschämten Geschichtskittung herhalten muß.

Die Botschaft dieser Zentralen Gedenkstätte („Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“) besteht darin, daß sechs Millionen ermordete Juden eben auch nur so ein nationaler Schicksalsschlag seien. Ein Pech, das halt irgendwie als Naturkatastrophe über uns arme Nation kam.

Folgerichtig – so die Kohlsche Logik – können in der Wache nun platzsparend alle um alle trauern: Schönhuber um seine gefallenen Kameraden, neben Ignatz Bubis, der der KZ-Opfer gedenkt, das Bundeswehrcorps ehrt die Reichswehrhelden gleich neben der Delegation aus Tschechien, die eines massakrierten Dorfes gedenkt. Die Schwulen neben den Reps, den Sintis, den DDR-Bürgerrechtlern. Lebte Erich noch, so dürfte auch er hier der ermordeten Kameraden aus dem kommunistischen Antifaschismus gedenken, gleich neben den Müttern seiner Maueropfer. So hat es sich Kohl gedacht – Einheitsschleim übers Jahrhundert.

Gegen die „Zentrale Gedenkstätte“ sind viele Menschen national und international umsonst Sturm gelaufen. Nun wollten ausgerechnet Schwule an diesem Ort ihre Opfer ehren, am Ort der Täter. Schlimmer noch: Als erste große gesellschaftliche, also nicht-staatlich-offiziöse Gruppe hätten sie diese verlogene Stätte freiwillig salonfähig gemacht.

Die Kranzaktion hätte noch vor zehn Jahren als schwer linke Aktion gewirkt. Damals galt es, Hetero-Orte zu erobern, Coming-out gerade an jenen staatlichen Heiligtümern zu zeigen, wo wir Schmuddelpack nicht sein sollten. In diesem Sinne – dies sollte man den Kranzablegern wohlmeinend zugestehen – wollten sie wohl Land erobern, wollten sich freuen, wie sie symbolisch des Dr. Kohls stolze Wache rosa besetzen.

An der Neuen Wache aber wären auch die bürgerlichen Lesben und Schwulen von 1994 nicht endlich in ihrem ersehnten Hafen der „normalen“ Gesellschaft angekommen. Nein, sie wären mit vollen Segeln dran vorbeigesegelt und hätten gleich Anker im reaktionär- militaristischen Lager geworfen.

Autoritär sind übrigens beide Demoveranstalter-Lager. Die einen, weil sie aus dem Hinterzimmer heraus ohne zu fragen Staatsakte im Namen aller abhalten wollten. Die anderen, weil sie die Parole ausgeben, sie marschierten gegen Ausgrenzung von Menschen aller Art auf dem ganzen Globus – und sich dazu schon abgrenzen müssen von den nicht ganz korrekt Gesinnten.

Die Crux der Funktionäre, links wie rechts: Die Leute werden einfach ungeschult lesbisch oder schwul, so unverschämt laienhaft aus dem Unterleib heraus – und wollen dann partout nicht einsehen, daß dieses schwere Schicksal schließlich lebenslänglich zentral gesteuerte Zwangsgesinnung erfordert. Sonst könnte ja jeder kommen. Tom Kuppinger