Bloß keine Pariser Gefühle

Wer soll die Berliner Kultur bezahlen? Eine Berliner Diskussionsrunde debattierte über den noch ausstehenden Hauptstadtvertrag Kultur  ■ Von Barbara Häusler

Wodurch wird eine Hauptstadt eine Hauptstadt? Durch einen Vertrag, natürlich. Die Zusammenarbeit zur „ordnungsgemäßen Erfüllung hauptstadtbedingter Aufgaben“ erstreckt sich im kulturellen Bereich auf „hauptstadtbedingte Kultur- und Bildungseinrichtungen, an denen die Bundesrepublik Deutschland ein besonderes Interesse hat.“ So lapidar und vergleichsweise mager heißt es in Artikel 1 des Vertrags zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat zum Ausbau Berlins als Bundeshauptstadt, der im Juli 1992 unterzeichnet wurde. Alles weitere regelt ein weiterer Vertrag, der noch zu erstellende Hauptstadtvertrag Kultur nämlich. In ihm wird festgelegt, an welchen kulturellen Einrichtungen die Bundesrepublik Deutschland überhaupt ein so besonderes Interesse hat, daß sie auch bereit ist, diese zu finanzieren.

Ob dieser Passus geeignet ist, den Berliner Forderungen nach einer angemessenen und geregelten kulturellen Finanzierung aus Bundesmitteln bis zur Vollendung der Hauptstadt, dem Umzug von Kanzler und Parlament nach Berlin im Jahre 1999, Nachdruck zu verleihen, war zentrales Thema einer Veranstaltung in der Berliner Hochschule der Künste. Der Vorsitzende der Kulturpolitischen Gesellschaft und HdK-Präsident Olaf Schwencke hatte Freimut Duve (SPD) und Roswitha Wisniewski (CDU), Vorsitzender und stellvertetende Vorsitzende des Unterausschusses „Kunst und Kultur“, Berlins Kultursenator Ulrich Roloff- Momin, seinen Berater Sieghard von Köckritz und den Berliner FDP-Abgeordneten Jürgen Biederbick zur „Diskussion“ geladen. Erwartungsgemäß prasselten jedoch in termingehetzten eineinhalb Stunden die Zahlen, Klagen und Argumente ziemlich gedrängt auf die Zuhörer hernieder.

Berlins fette Jahre sind vorbei, von den Etats zur 750-Jahr-Feier 1987 kann man nur noch träumen. Aber 275 Millionen Mark jährlich, rechnete Kultursenator Roloff- Momin vor, seien nach den (unfrei)willigen Einsparungen von mittlerweile 248 Millionen, denen noch weitere 54 Millionen folgen sollen, das Minimum, was Berlin brauche, um seine kulturelle Substanz zu erhalten. Denn nach der Wiedervereinigung ist der Stadt ihre zweite Hälfte mit ihren kulturellen Einrichtungen zugewachsen, deren Sanierung und Erhalt nach Einstellung des Fördervertrags für die neuen Bundesländer vollständig aus dem Stadtetat finanziert werden müssen.

1,3 Milliarden Mark auf 10 Jahre hat nun die Bundesregierung Berlin als umzugsbedingte Übergangsfinanzierung zugestanden. Davon entfällt allein eine Milliarde auf den Ausbau von Verkehr und Infrastruktur. Für „Kultur und Repräsentation“ – worunter mit 20 Millionen Mark auch „Protokollmaßnahmen“ fallen – bleiben demnach rund 300 Millionen, also 30 Millionen im Jahr. Eine Summe, die bis auf Frau Wisniewski alle Podiumsteilnehmer zu Recht für lächerlich halten. Doch Frau Wisniewski setzt auf eine Hauptstadt, die in erster Linie in ihrer kulturellen Selbstdarstellung den „Gesamtstaat nach außen und innen repräsentieren“ muß. Eine Aufgabe, die vornehmlich die repräsentative Architektur der Berliner Mitte erfüllt – wie ihr Berlinreisende ihres baden-württembergischen Wahlkreises „immer und immer wieder“ begeistert und glaubhaft versichern. Deshalb hält sie eine Aufstockung auf 50 Millionen jährlich für durchaus passabel und fordert ein Konzept, das die Regierung am Umzugsplan nur ja nicht zweifeln läßt – was bei einer „einseitigen“ Förderung der darstellenden Künste vielleicht zu befürchten wäre.

Damit arbeitet sie einem offensichtlich gern angeführten Argument aus dem Bonner Finanzministerium zu. Dort verweigert man sich jeder Diskussion um mehr Geld mit dem Hinweis, daß man ja einerseits keines habe und Berlin im übrigen, im Gegensatz zu Bonn, doch schon alles hätte, was eine Hauptstadt so braucht. Diese fiskalisch diktierte Gesprächsverweigerung halten Duve, Roloff-Momin und von Köckritz für den eigentlichen kulturpolitischen Skandal. Duve kritisierte heftig das Fehlen fester Ansprechpartner und das „peinliche Außenvorbleiben des Bundeskanzlers“, der als einziger die Richtlinienkompetenz hätte, die – nicht nur im Einigungsvertrag – festgeschriebenen kulturpolitischen Vorgaben auch umzusetzen. Von Köckritz, der nach eigenen Angaben Umstrukturierung und Aufbau von Kulturverwaltungen in den neuen Ländern „generalstabsmäßig“ angegegangen war, bevor er Berater des Kultursenators wurde, listete genüßlich und akribisch entsprechende Gesetzesstellen, Beschlüsse, Empfehlungen und Entschließungen auf, die nur darauf warteten – im Notfall auch juristisch – eingeklagt zu werden. Das ist Roloff-Momin mit einer bereits ausgearbeiteten Version des Kultur-Hauptstadtvertrags, in der er sich mit dem Bundesinnenministerium auf eine Summe von rund 130 Millionen Mark jährlich geeinigt hatte, leider nicht gelungen. Die Entscheidung darüber wurde wie so vieles auf kaltem Weg verschoben.

Jürgen Biederbick, als Ersatzmann für den ehemaligen Innenminister Gerhard Baum eingesprungen und als einziger der Podiumsgäste Haushaltspolitiker, schlüpfte bereitwillig in die undankbare Rolle des Kassenwarts. Ob seine Kritik am Senat, beim Einigungsvertrag die Prioritätensetzung für Kultur eben nicht entschieden und selbstbewußt genug verteidigt zu haben, parteipolitisches Kalkül oder bereits eines jener routinierten Finanzargumente war, läßt sich so einfach nicht entscheiden. Er muß angesichts der Kassenlage realistischerweise schwarz für alle Forderungen sehen und wies doch dankenswerterweise darauf hin, daß man über Fakten sprechen müsse. Darüber zum Beispiel, warum, wenn kein Geld da ist, die Etats anderer kultureller Bundeseinrichtungen, wie zum Beispiel des Deutschen Historischen Museums, erhöht werden können ...

Welche Institutionen als hauptstadtrelevant und damit finanzierungswürdig nun eigentlich vertraglich aufgenommen werden sollen, wurde im Einzelnen nicht diskutiert. Die darstellenden Künste, soviel schien durch, sind aber natürlich mit von der Partie. Einig ist man sich, daß „Sonderprojekte“ wie das Deutsche Historische Museum oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die allein mit 270 Millionen Mark zu Buche schlagen, außerhalb der Finanzierung des Hauptstadtvertrages laufen sollen. Damit hätte die Forderung von 160 Millionen, mit der Roloff-Momin in die nächste Runde gehen will, vielleicht eine Chance.

Wenn jedoch dort, wo die Entscheidungen getroffen werden, die Auffassungen darüber, wie und was eine deutsche Hauptstadt überhaupt sein soll, ebenso divergieren wie auf dem Podium, wird das noch weiter dauern. Ob sich Roloff-Momins Traum von einer lässigen Metropole, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht, gerade mit jenen verwirklichen läßt, die ihn mit ihren ewigen Bonn-Berlin-Vergleichen allmählich zur Weißglut bringen, scheint ein Widerspruch in sich. Duve hält den Metropolenvergleich jedenfalls für falsch: er will „kein Pariser Gefühl“, sondern eine dezentrale Repräsentation, die dem föderativen System, das Berlin ge- und ertragen habe, Rechnung trägt; das große „Hauptstadtgefühl“ gäbe nur den Warnern recht. Die „prima inter pares“ (Wisniewski) könnte leicht zur „Primadonna inter pares“ werden. Ach, Paris!