■ Nebensachen aus Moskau
: „Hätt' ich Geld, so hätt' ich sie bestochen“

Seit zwei Jahren glaubte ich sie überwunden zu haben. Die Renitenz im Umgang mit Ordnungshütern, näher besehen eine pubertäre Attitüde. Doch diesmal kam es ziemlich dicke. Abends zuhause, schwieg die TelefonLeitung. Ich schlich durchs Treppenhaus auf Spurensuche. Als es woanders klingelte, war klar: Das Amt hat meinen Anschluß gesperrt. Die Nummer der zuständigen Sachbearbeiterin war am nächsten Tag belegt, acht Stunden lang. Man pflegt dort mit Arbeitsbeginn den Hörer daneben zu legen, um ungestört zu sein. Noch zwei Stunden blieben bis Dienstschluß. Also nix wie hin.

Ganz so schnell geht es freilich nicht: Die Kelle des Verkehrspolizisten senkt sich, fast so, als hätte ich es geahnt. Routineüberprüfung. Die Feiertage waren vorüber und die Privatschatulle der staatlichen Kontrolleure leer. Der Milizionär und ich, wir schauten uns an, nicht die geringste Chance auf Verständigung. Er schleicht um den Wagen, zunächts im, dann gegen den Uhrzeigersinn. Inspiziert die Papiere, blättert und wendet und holt schließlich den Vorgesetzten. „Wo haben Sie die Dokumente gekauft?“ Gekauft? „Na, sicher!“ Er kommt gleich mit dem Vorschlaghammer! Mir verschlägt's die Sprache. Dieses grauenhafte Gemisch aus Ohnmacht und unkontrollierbarer Aggression stellt sich ein. Aufs Gas und weg? Doch den Geschäftsablauf bestimmt jetzt er allein. Ich bleibe, stelle sogar den Motor ab, will mich fügen. Die Konsequenzen für die Flucht wären verheerend und schmieren kann ich nicht. Das Geld reicht mit Müh und Not für eine Tankfüllung und die Reserve blinkt schon.

Sein Kollege kommt zurück. „Dein hinteres Nummernschild ist nicht normgerecht!“ Wie bitte, Nooorm?! Was ist hier die Norm? Das Gesetz seid doch ihr! Ich brülle.

Ertappt, er hatte recht. Das kleine „T“ war verrutscht. Im Laufe eines Jahres fiel es keinem auf. Die Nummer war in Berlin nachgemacht, die alte war auf unerklärliche Weise abhanden gekommen. Ein neues Schild in Rußland zu beantragen, bedeutet bestenfalls eine Woche Kriecherei, im schlimmsten Fall endet es mit der Stillegung des Fahrzeugs. Alles ist drin. Glücklicherweise deckten sich die kyrillischen und lateinischen Buchstaben, doch die Proportion ... Eben nicht exakt.

Ich streite ab. Wirklich witzig, nicht die Norm! Sie kassieren den Führerschein ein und verschwinden für 25 Minuten, schreiben PROTOKOLL. Ich treibe sie an, sie verfallen in Winterstarre: Das Gesetz gebe ihnen diese Zeit. Was für hervorragende Gesetze man in Rußland hat, wie umfassend doch alle Eventualitäten bedacht wurden. Eine Novität. Ich sage: Tut mir leid, hab' wirklich kein Geld, sonst hätt' ich Sie bestochen. „Wir nehmen kein Geld“, sagt der allen Ernstes.

Ich zieh' von dannen, die Zeit drängt. Schreibe den Führerschein schon ab. Die kriegen keinen Pfennig, tröste ich mich. Schließlich weiß ich, wo man sie kaufen kann. Anruf genügt. Will es noch zum Amt schaffen, wenigstens das erledigen.

Wieder die Kelle, zu schnell gefahren. Der Polizist guckt sich den Einzugsbeleg des Führerscheins an. „Wohl kein Geld gehabt?“ Doch wieso noch erklären ..., ruhig bleiben. Ich reiche ihm meine restliche Barschaft, 5.200 Rubel, (4 Mark fünfzig). Er zählt und gibt mir Zweitausendzweihundert zurück. „Gute Fahrt. Mir haben sie auch das Telefon abgestellt.“

Zwanzig vor sieben im Amt. Die halbe Stunde Arbeitnehmerschonzeit ist bereits angebrochen. Um Sieben ist offizieller Dienstschluß und sie arbeiten noch. (Wie gesagt, es waren ja gerade Feiertage, und man hatte sich eine Menge zu erzählen). Die Kollegin nimmt die Belege entgegen, es verstreicht eine halbe Stunde. Noch immer trudeln Betroffene ein. Junge Leute meist, Mütter mit Kindern und ein Heavy-Metal-Fan. Ganz cool meint der, „nun machen Sie mal zu und schalten das Ding wieder an, ich brauch's heut abend“. Alles schmunzelt. Wo lebt der denn? Andere fühlen sich noch im Sowjetsystem, mimen die Unterwürfigen, um bloß nichts zu vermasseln. Der kommt gleich fordernd daher, schwingt mit der Hüfte, im Amt!

„Wird morgen wieder angestellt“, meint die Dame beiläufig. Warum wurde es überhaupt ausgeschaltet? Ich möchte eine Erklärung! „Eine Erklärung wünschen Sie?“ fragt sie zurück, halb indigniert, aber voller Ironie. So was gibt es. „Zu spät gezahlt.“ Wir haben den 11. Mai und gezahlt wurde am 24. April! „Dann haben wir es nicht erhalten. Sie hätten uns anrufen können!“ Ich verliere den Faden. Die Logik ist mir zu verstiegen.

Am nächsten Tag, morgens um 2 Uhr in der Eremitage steht der Typ aus dem Amt auf der Bühne. Er spielt am Baß Bob Marleys „Don't do that to me, please“. Ich hatte es dumpf geahnt. Das war's. Rußlands Reggae ist mehr als nur ein Remake. Es ist die Medizin des Übergangs. Klaus-Helge Donath