Mehr Sekt als Wermut

■ PDS als Gewinnerin der Europawahl: In Ostberlin mehr Stimmen als SPD und CDU zusammen / Einzug in Bundestag?

Noch am Wahlsonntag mußten sich die trinkfreudigen PDS-GenossInnen entscheiden, ob sie eher zum bereitstehenden Sekt- oder Wermutglas greifen wollten. Letztendlich fiel die Entscheidung dann doch für das prickelnde Gesöff, denn allzu groß war die Euphorie. Klar, denn die PDS konnte gegenüber den Bundestagswahlen 1990 ihren Stimmenanteil fast verdoppeln und reiht sich damit als viertstärkste politische Kraft in die bundesdeutsche Parteienlandschaft ein.

Entsprechend locker und gelöst präsentierten sich die ehemaligen SED-Genossen gestern der Presse. Mit Hans Modrow, Lothar Bisky, Roland Claus und André Brie war fast die gesamte honorige Parteispitze vertreten, nur der angekündigte Medienstar Gregor Gysi fehlte. Kurz und schlagkräftig übten sich die Herren im allseitigen Jubel, und die kleinen Schweißperlen auf den Gesichtern waren wohl eher dem gleißenden Scheinwerferlicht der Fernsehkameras zu verdanken als den wenigen, eher wohlwollenden Nachfragen der Medienprominenz.

Auch die markigen Sprüche der Berliner Landesvorsitzenden der PDS, Petra Pau, paßten ins Konzept: „Die Wahlergebnisse sind eine deutliche Ohrfeige für die Sozialdemokratie“, ließ sie verlauten, und dies sei wohl auch eine logische Konsequenz einer Wahlpropaganda, in der sich die Plakate der SPD von denen der „Republikaner“ nur durch das Parteilogo unterscheiden.

Allseitiges Schulterklopfen – die PDS präsentierte sich als stolze Gewinnerin der Europawahl. Mit gutem Grund, denn der Stimmenzuwachs ist enorm. In allen fünf Ostberliner Bundestagswahlkreisen war die PDS deutlich stärker als SPD und CDU zusammengenommen, und selbst in Westberlin ist die Tendenz einer PDS-Wählerschaft steigend. In Kreuzberg beispielsweise waren sechs Prozent Zuspruch zu feiern.

Parteichef Lothar Bisky erklärte dann auch: „Es ist deutlich geworden, daß die PDS über ein stabiles Potential an Stammwählern verfügt, aber auch eine große Anzahl von Neuzugängen ist nicht zu übersehen.“ Immerhin haben seit den Brandenburger Kommunalwahlen 40.000 mehr für die SED-Nachfolgepartei gestimmt, davon 12.000 im Westteil. Und so läßt sich die PDS dann auch schon Plätze im Bundestag reservieren. Lothar Bisky meinte gestern: „Die überraschenden Ergebnisse machen deutlich, daß wir die Fünfprozenthürde bei den Bundestagswahlen im Oktober schaffen werden.“

Auch Petra Pau rechnet fest damit, daß die PDS in Ostberlin fünf Direktmandate erringen wird. Damit wäre für sie die Fünfprozenthürde hinfällig, denn bei mindestens drei Direktmandaten zählen alle Zweitstimmen für die PDS. Die jetzt erreichten bundesweit 4,7 Prozent wären mindestens 31 Parlamantssitze. Bei aller Euphorie läßt sich jedoch nicht darüber hinwegtäuschen: Die PDS ist nicht im Europaparlament vertreten. Auch die geplante Einrichtung eines Büros in Brüssel wird nichts daran ändern, daß die demokratischen Sozialisten bei der Europapolitik außen vor bleiben. Bei allem Sekt also doch ein kleiner, aber bitterer Wermutstropfen. Anja Nitzsche