■ Eine beunruhigende Frage nach der Europawahl: Wo liegt der Schlüssel zur Macht?
No change? Die Verliererin dieser Wahl heißt SPD, und Gründe dafür liefert sie zu Sonderangebotspreisen. Gewonnen hat die Union, da helfen auch das Vergleichen mit besseren Ergebnissen und das Herunterrechnen von der 90er Wahl wenig. Das letzte halbe Jahr könnte die These stützen, daß die eine Volkspartei gerade soviel wert ist, wie die andere falsch macht und umgekehrt. Zwischen Heitmann und Herzog wußte am Ende Helmut Kohl, der alte Fuchs, wieder einmal am besten, daß es vor allem auf den rechten Zeitpunkt ankommt.
Doch die Europawahl liefert neben den eindeutigen auch doppeldeutige Botschaften. Der Kanzler siegt zwar mit seiner Partei, doch seine Koalition sieht alt aus. Rot-Grün hingegen legt dank der grünen Ergebnisse im Vergleich zur Bundestagswahl kräftig zu. Gleichzeitig bleibt es im Lagervergleich christlich-liberal gegen Rot-Grün beim alten Befund: keine Mehrheit für Rot-Grün. Nur ein einziges Mal, bei der 89er Europawahl, hatten SPD und Grüne bei einer bundesweiten Wahl mehr Stimmen als die Koalitionsparteien; damals aber hatten die „Republikaner“ über sieben Prozent.
Was wollen die Leute eigentlich – das Alte nicht, doch Neues auch nicht? Wenn die SPD das Blatt noch wenden will, dann steht sie vor einer Aufgabe nicht höheren, sondern höchsten Schwierigkeitsgrades. Scharping und seine Partei SPD müssen sich eine einmalige Fehlerserie vorhalten. Warum sie sich zu einer derartigen Antistimmung verdichten konnte, ist die eigentliche Frage. Ist Scharpings Kurs, mit der Union um die schwankenden Wähler zu konkurrieren und um deren Grundvertrauen zu werben, gescheitert? Das Original kann es besser, sagen nun nicht nur Scharpings innerparteiliche Kritiker, sondern auch das Wahlergebnis. Doch der dramatische Befund lautet: Mit den denkbaren Gegenrezepturen dürfte die SPD erst recht vor die Wand fahren. Für einen rot- grünen Lagerwahlkampf spricht das Ergebnis ganz und gar nicht. Der Schlüssel zur Macht in Bonn liegt bei den unergründlichen Wählergruppen zwischen Union und SPD.
Warum ist die Union so stark? Sie profitiert eben nicht nur von den Fehlern der SPD. Mit traumwandlerischer Sicherheit kommuniziert der Kanzler mit der vorherrschenden Stimmung, mit dem Trend, der gar nicht groß fragt, ob Zeit für den Wechsel ist. Helmut Kohl und die Wähler sagen sich herzlich und mit Zuversicht: Ja, wir müssen uns verändern, doch bitte mit Bedacht. Diese Wähler müßte die SPD gewinnen. Doch findet sie dafür das Gefühl, den richtigen Ton, die positive Botschaft? Tissy Bruns
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