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Im Namen der Rose und des Revolvers Von Andrea Böhm

Mit dem staatlichen Gewaltmonopol haben aufrechte Linke seit jeher ihre Schwierigkeiten – vor allem, wenn es in Form eines Polizeiknüppels bei irgendeiner Demo auf ihre Köpfe niedersaust. Dieses tiefsitzende Mißtrauen ist weiterhin angebracht. Doch wer längere Zeit in den USA verweilt, der beginnt, diesem Konzept überraschend viel Sympathie entgegenzubringen. In diesem Land befinden sich bekanntermaßen 211 Millionen Schußwaffen in Privatbesitz, was bei einer Bevölkerung von 250 Millionen Menschen eine quasi flächendeckende Bewaffnung zur Folge hat. Die These, daß hier mehr Leute mit Laden eines Gewehrs als mit dem Vorgang des Wählens vertraut sind, ist empirisch zwar nicht belegt, aber sie dürfte nicht allzu gewagt sein.

Nun ist derzeit ein Stimmungsumschwung zu beobachten, den manche gar als Kulturrevolution bezeichnen. Nach nicht einmal zwei Jahren Amtszeit ist es der Clinton-Administration gelungen, schon ein Gesetz zur Waffenkontrolle durchzubringen: eine Wartefrist beim Kauf von Handfeuerwaffen, damit der Händler seine Kunden auf eventuelle Vorstrafen oder psychische Störungen überprüfen kann. Ein zweites ist in Vorbereitung und soll den Verkauf bestimmter halbautomatischer Waffen verbieten. Das sind angesichts der Ausmaße des Problems absurd kleine Schritte. Doch für die BürgerInnen der Gemeinde Santa Rosa in Florida hat der Staat seine Kompetenzen damit längst überschritten.

Deswegen hat der Gemeinderat unter Berufung auf die US-Verfassung eine Bürgerwehr ins Leben gerufen und alle Männer, Frauen und Kinder zu Mitgliedern erklärt. „Da eine gut ausgebildete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates erforderlich ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden“, heißt es im zweiten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung. Es ist klar, daß die BürgerInnen in Santa Rosa weniger um die Verfaßtheit des Staates besorgt sind als um ihr individuelles Recht, nach Belieben Ballermänner einzukaufen – und notfalls gegen den Staat einzusetzen. Jedenfalls bildet sich Milizengründer und Gemeinderat Byrd Mapoles ein, geradezu pfiffig gehandelt zu haben. Denn einem Mitglied der Bürgerwehr könne laut Verfassung kein Gesetz und schon gar nicht diese Politikerhalunken in Washington verbieten, eine Uzi oder eine 9-mm Tec sein eigen zu nennen.

Zukünftige Einsätze seiner Bürgerwehr hat Mapoles in Gedanken schon durchgespielt. Da sind zum Beispiel die zahlreichen Invasionsarmeen, die die Küste Floridas bedrohen – kommunistische Castroanhänger, kolumbianische Kokaindealer, chinesische Schmuggelbanden. Das haitianische Militär könnte auf den Gedanken kommen, die lange geplante Okkupation der USA in Florida zu starten. Außerdem sind einige der ehrenwerten BürgerInnen in Santa Rosa davon überzeugt, daß die Bundesregierung in Washington nach der Übergabe Hongkongs an China die Hongkonger Polizei übernehmen und gegen widerspenstige lokale Gemeinden einsetzen wird. Das Stricken von Verschwörungstheorien ist in manchen Ecken des Landes fast so beliebt wie das Hantieren mit Waffen. Bloß sollte keiner glauben, die Leute in Santa Rosa County meinten nicht ernst, was sie sagen.

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