■ Die bisherige SPD-Strategie wird nicht aufgehen
: Worauf warten wir noch?

Seit Sonntag ist die Drohung wieder manifest geworden – vier weitere Jahre Kohl und ein nach rechts abdriftender Konservatismus an der Regierung. Das bedeutet im besten Falle Stagnation, die aber in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen nichts anderes ist als verschenkte Zeit. Zeit, die notwendig ist, eine Energiepolitik einzuleiten, die vielleicht den Öko- Kollaps noch verhindert, die es ermöglicht, die Vision einer Gesellschaft publik zu machen, in der Arbeit einen neuen Stellenwert bekommt und so verteilt wird, daß alle wieder an sinnvollen Tätigkeiten partizipieren können, und Zeit, einen neuen Nationalismus zu stoppen, bevor er sich in die Köpfe der Leute so weit hineingefressen hat, daß eine Umkehr sehr schmerzhafte, gewalttätige Auseinandersetzungen provozieren würde. Wir haben keine Zeit zu verschenken, und die Mehrheit in dieser Gesellschaft weiß das auch. Bis Sonntag abend ließen sich die verschiedensten Spekulationen darüber anstellen, mit welcher Strategie sich diese gesellschaftliche Mehrheit auch in Wählerstimmen umsetzen läßt – seit Sonntag abend ist klar, daß die bisherige SPD-Strategie nicht aufgehen wird.

Scharping und Verheugen haben einen Fehler gemacht, der Politikern häufig unterläuft: sie halten gerade die WählerInnen, die sie so dringend erreichen wollen, für dümmer, als sie sind. Auch die WählerInnen der Mitte wissen inzwischen, daß die für das Überleben notwendigen Ressourcen dieser Erde endlich sind und daß wir entsprechend damit umgehen müssen. Vollbeschäftigung durch Wachstum wird es nicht mehr geben. Auch das wissen die WählerInnen der Mitte. Eine Partei, die Kohl ablösen will, muß die konkreten Konsequenzen dieser Erkenntnisse aufzeigen und zu ihnen stehen.

Mittlerweile wissen das auch Scharping und Verheugen, doch glauben sie es ihrer Glaubwürdigkeit schuldig zu sein, jetzt nicht umzuschalten. Wenn innerparteiliche KritikerInnen nun nach Rot-Grün rufen, wird Scharping um so mehr auf Geschlossenheit bestehen, zur Not – wie bei der Bundespräsidentenwahl – bis zur Strafe des eigenen Untergangs. Die Lösung der Blockade muß deshalb von außen kommen. Da Scharping die gesellschaftliche Mehrheit für den Wechsel nicht organisieren will und die Grünen allein dazu nicht in der Lage sind, ist es an der Zeit, über Selbsthilfemaßnahmen nachzudenken. Warum nicht statt der früheren Wählerinitiativen für eine Partei eine Initiative für den Wechsel? Eine Initiative außerhalb der Parteien, die die Reformdebatte unterstützt und die SPD in Zugzwang bringt. Schließlich gibt es genügend Leute in diesem Land, die keine Lust haben, im Oktober sehenden Auges in ein neues Desaster zu laufen. Worauf warten wir also noch? Jürgen Gottschlich