Ärmere Länder, sauerer Regen

Protokoll über die Verringerung der Schwefeldioxidbelastung der Luft unterzeichnet / Angeblich „bahnbrechendes Umweltschutzabkommen“ / Deutschland ist Musterknabe  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Regierungsdelegationen 32 europäischer Länder und Kanadas haben gestern ein völkerrechtlich verbindliches Protokoll unterzeichnet, das die immer noch wachsende Versauerung von Luft, Wasser und Boden begrenzen soll. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, in bestimmten Raten und Fristen weniger Schwefeldioxid in die Umwelt abzugeben.

Erstmals ist auch Großbritannien eine solche Verpflichtung eingegangen, die USA wollen lediglich die Ziele der Konvention unterstützen, sich aber nicht mit ihrer Unterschrift selbst binden. Überhöhte Schwefeldioxidanteile in Wasser, Luft und Boden gelten als wichtigste Ursache des Waldsterbens. Seit Ende der siebziger Jahre bemühen sich vor allem die skandinavischen Länder um eine Lösung dieses vergleichsweise gut erforschten Umweltproblems. Das letzte internationale Protokoll aus dem Jahr 1985 sah vor, daß die Unterzeichnerstaaten ihren Ausstoß an Schwefeldioxid bis 1993 pauschal um mindestens 30 Prozent senken sollten. Als Berechnungsbasis galt die jeweilige Schwefeldioxidfracht des Jahres 1980.

Dieses Ziel war vor allem für osteuropäische Länder völlig unrealistisch. Seit über einem Jahr wurde deshalb an einem Rechenmodell gearbeitet, das die Schwefeldioxidquellen in jedem Land mit meteorologischen Daten, den Kosten für Reinigungsanlagen und den ökologischen Reserven der jeweiligen Zielgebiete verbindet. Denn dieselbe Menge sauren Regens richtet nicht überall den gleichen Schaden an. Das Ergebnis dieser Computersimulationen ist, so hoffen die WissenschaftlerInnen, eine realisierbare Prioritätenliste, die gleichzeitig die notwendigsten und finanzierbaren Reduktionen für jedes einzelne Land benennt.

Wiederum ausgehend vom Niveau des Jahres 1980 legt das neue Osloer Schwefelprotokoll eine Mindestreduzierung von 60 Prozent fest. Länder wie Rußland und Polen müssen dieses Ziel jedoch erst im nächsten Jahrtausend erreichen. So wird Polen eine Frist bis zum Jahre 2020 eingeräumt, um seinen Schwefeldioxidausstoß auf 66 Prozent der Menge von 1980 zu senken. Für Rußland wurde gar nur ein Etappenziel von 40 Prozent bis zum Jahre 2005 ohne zeitlich fixiertes Endziel festgelegt.

Auch Großbritannien hat bis zum Jahre 2020 Zeit, vier Fünftel des Schwefelausstoßes von 1980 abzubauen. Am weitestgehenden sind die Forderungen an Deutschland, das die Marke von 87 Prozent im Jahr 2005 einhalten muß. Länder wie Norwegen sind schon fast am Zeil: 76 Prozent sind bis zum Jahre 2000 gefordert, 74 Prozent sind bereits erreicht.

PolitikerInnen halten das neue Datenmodell für „bahnbrechend“ für eine neue Generation von Umweltschutzabkommen. „Wir haben analysiert, was die Natur noch verträgt“, meint Jan Thompson vom norwegischen Umweltministerium, „geschaut, welche Verunreinigungen von Boden und Wasser noch neutralisiert werden können. Das wurde mit dem Kosten-Nutzen-Effekt kombiniert. Jetzt glauben wir, mit dem Modell den größten Nutzen zu geringstmöglichem Preis zu bekommen.“ KritikerInnen weisen dagegen darauf hin, daß mit dem neuen Protokoll nicht eingelöste Versprechungen früherer „bindender Verpflichtungen“ auf elegantem Wege entfallen.

Einig sind sich BefürworterInnen wie KritikerInnen, daß die Folgen des sauren Regens auch nach dem Jahre 2000 teilweise noch dramatisch sein werden. In Gegenden mit wenig kalkhaltigem Gestein wird die Versauerung noch viele Jahrzehnte anhalten. „Das Abkommen“, so der Gastgeber und norwegische Umweltminister Thorbjörn Berntsen, „löst nicht die Probleme des sauren Niederschlags, aber wir müssen mit dem Ergebnis zufrieden sein.“ Auch wenn das Schwefelprotokoll als „bindend“ gilt, sind keine Sanktionen vorgesehen. Verpflichtet haben sich die Unterzeichnerstaaten nur, über alle getroffenen Maßnahmen und Resultate kontinuierlich zu berichten.