Armut, nicht die Armen bekämpfen

■ Studie: Sozialpolitik soll Bevölkerungswachstum bremsen

Bonn (epd) – Eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums ist aus Sicht der evangelischen Kirche allein mit Familienplanung nicht zu erreichen. Das Weltbevölkerungsproblem müsse in erster Linie durch die Bekämpfung der Armut und die Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten in den Entwicklungsländern angegangen werden, heißt es in einer gestern veröffentlichten Studie der Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Annahme, daß das Problem von Bevölkerungszuwachs und weltweiter Armut durch eine „rigorose“ Anwendung von Verhütungsmethoden bewältigt werden könne, sei ein Irrtum.

„Wir müssen die Armut und nicht die Armen bekämpfen“, sagte der Vorsitzende der EKD- Kammer, der Politikwissenschaftler Lothar Brock. Die Studie sei ein Versuch, „menschenwürdige Lösungen“ zu suchen. Dabei müsse auch das Verhalten der Industrieländer mit einbezogen werden, da die Bevölkerungsentwicklung in engem Zusammenhang mit dem Ressourcenverbrauch stehe. In den Entwicklungsländern müsse die Sozialpolitik ein „integraler Bestandteil des Kampfes gegen das Bevölkerungswachstum“ sein. Die Autoren der Studie empfehlen eine „humane Bevölkerungspolitik“ im Rahmen einer integrierten Entwicklungsstrategie, die eine verbesserte Gesundheitsvorsorge, die Stärkung der Stellung der Frau in der Gesellschaft und eine bessere Ausbildung für Mädchen umfassen müsse. Die Sozialpolitik stelle die Alternative zur Verelendung und damit auch zum Anwachsen der Bevölkerung dar.

„Ohne staatliche Systeme der sozialen Sicherung wird auch weiterhin Kinderreichtum eine Garantie der eigenen sozialen Sicherheit bedeuten“, heißt es in der Studie. Auch der Wanderungsdruck werde sich durch die Anhebung des Lebensstandards und die sinkende Kinderzahl verringern.

Die Studie mit dem Titel „Wie viele Menschen trägt die Erde?“ wurde von der EKD-Kammer im Hinblick auf die im September in Kairo stattfindende Weltbevölkerungskonferenz verfaßt. Zwangsmaßnahmen zur Empfängnisverhütung, die Anwendung längerwirkender Verhütungsmittel, über die die Frauen nicht selbst bestimmen können, sowie der Einsatz der Geburtenkontrolle gegen unerwünschte Minderheiten werden darin abgelehnt. „Technokratische Ansätze“, die kulturelle und regionale Unterschiede nicht beachteten, müßten scheitern, betonen die Autoren. Der Staat habe kein Verfügungsrecht über Personen und Familien, „also auch kein Recht zu bevölkerungspolitischen Zwangsmaßnahmen“.