Wo steht des Kanzlers einzig wahres Museum?

■ Auch der Streit um Helmut Kohls museale Geschenke ist schon Geschichte

Helmut Kohl liebt die Vergangenheit. In seiner präpolitisch aktiven Zeit promovierte er in Heidelberg mit ein paar Seiten zur Geschichte von Rheinland-Pfalz zum Dr. phil. Später wurde der Historiker Bundeskanzler, initiierte Museen und Gedenkstätten und steht bei Feierlichkeiten gern als einziger am Mikrophon. „Ohne historische Kenntnisse läßt sich die Gegenwart nicht begreifen und die Zukunft nicht gestalten“, wird er nie müde zu betonen, geschichtliches Wissen müsse sein, um die politische und gesellschaftliche Identität der Deutschen zu festigen.

Und deshalb war der gestrige Tag auch für ihn ein ganz großer. Gefolgt von 1.000 Ehrengästen weihte er am Abend in Bonn sein Lieblingsprojekt, „Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, ein, und dies ganz ohne Mißtöne. Beinahe vergessen sind all die Streitigkeiten, die das Vorhaben jahrelang begleiteten. Verglichen mit der Debatte in den achtziger Jahren nehmen sich die heutigen Anmerkungen des früheren Hauptkritikers Freimut Duve (SPD), daß die Geschichte der Bundesrepublik „auf die Musealisierung des kalten Krieges verkürzt“ würde, einigermaßen leidenschaftslos aus. Auch die Kritik des Bochumer Historikers Hans Mommsen, daß die Vorgeschichte der Bundesrepublik, der Nationalsozialismus, zuwenig berücksichtigt werde, hat nichts von der Grundsätzlichkeit, mit der die Kritiker damals in die Bütt stiegen.

Begonnen hatte das Museum mit einem Kanzlerwort. Wenn die Staatsverschuldung schon so hoch sei und der Alltag der Arbeitsgesellschaft die Menschen aufzufressen drohe, dann müsse wenigstens der Überbau stimmen, erkannte Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung im Oktober 1982 klar. Eine „geistig-moralische Wende“ müsse deshalb eingeleitet werden. „Unsere Republik“, sprach der Kanzler, „entstanden im Schatten der Katastrophe, sie hat inzwischen ihre eigene Geschichte. Wir wollen darauf hinwirken, daß möglichst bald eine Sammlung zur deutschen Geschichte seit 1945 entsteht, gewidmet der Geschichte unseres Staates und der geteilten Nation.“

Eine Debatte begann, die erst 1991 mit dem Richtfest endete. Darf man im Provisorium Bonn überhaupt ein Museum bauen? Zementiert man damit nicht die Zweiteilung? Alles kritische Fragen, als die Mauer noch stand. Die Befürchtung war groß, daß der „halben Nation“ über den Umweg eines Museums ein ganzes „Nationalbewußtsein“ verordnet werden sollte, und dies ausgerechnet in einer Situation, als sich in der Bundesrepublik das Wir-sind-wieder- wer-Gefühl breitzumachen drohte. Und als Helmut Kohl auf seiner Israel-Reise 1984 von der „Gnade der späten Geburt“ redete und zwei Jahre später Ernst Nolte den Streit über die Kausalität der Naziverbrechen vom Zaun brach, schien es vor allem der Opposition, daß das Bonn-Museum einen konservativen Patriotismus und eine bundesrepublikanische Selbstgefälligkeit zementiere. Kohl als „Sachverwalter bundesrepublikanischer Kontinuität“ wolle sich selbst ein „Denkmal“ setzen, hieß es von Freimut Duve. Indem Kohl nur konservative Historiker mit der Konzeption beauftragte, habe er das Parlament ausgeschaltet.

Die Debatte um Identitätsstiftung durch Museumsgründung entflammte erneut, als Helmut Kohl den Berlinern zur 750-Jahr- Feier auch ein Museum schenkte. Beide Projekte beweisen, meinte Hans Mommsen, daß der westdeutsche Nachkriegsstaat sich nicht mehr als Provisorium verstünde, daß dem „Historischen Museum“ in Ostberlin die „wahre“ deutsche Geschichte gegenübergestellt werden solle, „in der Erwartung“, so Mommsen, „daß eine stärkere historische Rückbesinnung die Verbundenheit mit Staat und Verfassung erhöhen und das gesamtdeutsche Nationalbewußtsein beleben werde“. Und der konservative Historiker Arnulf Baring schimpfte über die Zweiteilung: „Wenn man unsere Geschichte aufteilt, in den guten Teil nach 1945, den man in Bonn verwaltet, und den schlechten, vor 1945, der Berlin verbleibt, dann bedanke ich mich für dieses katastrophale Geschenk.“ Inzwischen sind diese Diskussionen selbst schon Geschichte geworden: Das Ostberliner „Historische Museum“ wird mit einem Jahresetat von 33 Millionen Mark zum „wahren“ Museum ausgebaut, das Bonner Haus, so der Ausstellungsmacher Bodo Michael Baumunk, bewege sich auf „Samtpfötchen“. Anita Kugler