Nach der Vorlesung fluchtartig heim

■ Rassistische Beleidigungen oder Überfälle auf ausländische Studierende nehmen zu, beklagt der FU-Präsident / Ausländische StudentInnen zum Schutz aus Ostberliner Wohnheimen "evakuiert"

Rassistische Übergriffe auf ausländische Studenten haben sich in den letzten zwei Jahren so gehäuft, daß der AStA der FU ihnen nun finanzielle Unterstützung für eine Bewaffnung zu Selbstverteidigungszwecken anbietet. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns selbst zu schützen, denn auf die Zivilcourage anderer Leute können wir uns offensichtlich nicht verlassen“, sagt ein Sprecher des AStA- Ausländerreferats. Der Langmut der Studenten ist erschöpft, seit vor wenigen Tagen eine arabische Studentin in der U-Bahn überfallen worden war. Am hellichten Tag wurde sie in der U 9 und später am U-Bahnhof Leopoldplatz mehrmals von einem Deutschen getreten und so brutal ins Gesicht geschlagen, daß sie vier Zähne verlor. Von den etwa 15 Fahrgästen habe ihr niemand geholfen. Erst auf dem Bahnhof hätten Passanten eingegriffen und den etwa dreißigjährigen Mann festgehalten, bis die Polizei eingetroffen sei.

Daß es sich bei dem Überfall auf die Studentin nicht um einen Einzelfall handelt, bestätigt auch der Präsident der FU, Johann W. Gerlach. In der letzten Zeit häuften sich Beschwerden von ausländischen wissenschaftlichen Gästen und Studierenden, die immer wieder behelligt, beleidigt und sogar körperlich angegriffen oder geschlagen werden, erklärte der FU- Präsident gestern. „Berlin gefährdet sein liberales und weltoffenes Ansehen und damit seine Zukunft als weltoffene Metropole und als Wissenschafts- und Kulturstadt, wenn hier fortlaufend Menschen aus anderen Teilen der Welt als Fremde mißachtet und angepöbelt werden“, befürchtet der FU-Präsident. FU-Pressesprecher Christian Walther berichtete von einem griechischen Studenten, der während seines Aufenthalts im Rahmen eines europäischen Austauschprogramms in Lichtenberg untergebracht worden war. „Der wurde auf dem Heimweg in der S-Bahn so oft belästigt, daß man für ihn eine Unterkunft in Westberlin suchen mußte.“ Sobald jemand Deutsch „radebreche“, würde er in vielen Restaurants oder Geschäften unfreundlich bedient oder auf der Straße angepöbelt, gibt Walther Erfahrungen weiter.

Viele ausländische Kommilitonen verließen um 18 Uhr fluchtartig die Hörsäle, um nach Hause zu kommen, solange die Straßen noch belebt seien. Abends ausgehen würden die meisten ohnehin nur noch in Gruppen. „Afrikanische Studenten, die in Ostberlin wohnen, beobachten vom Wohnheim aus die Bushaltestelle und verlassen das Haus erst, wenn der Bus in Sichtweite ist“, berichtet ein Mitglied des Ausländerreferats. Die psychlogische Belastung sei für die meisten Studenten mittlerweile enorm.

Daß ausländische Studenten zu ihrem eigenen Schutz aus Ostberliner Wohnheimen „evakuiert“ werden mußten, bestätigt auch der Leiter der Abteilung für Außenangelegenheiten, Wedigo de Vivanco. Doch trotz der Übergriffe erfreue sich die FU bei ausländischen Studenten eher zunehmender Beliebtheit. Seitdem es in Deutschland vermehrt rassistische Überfälle gäbe, würden ausländische Studenten nach Berlin wechseln, weil sie sich in der Großstadt sicherer fühlten. Christiane Badenberg