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Trotz Friedens wird weitergefoltert

Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ wirft Israel die systematische Mißhandlung von Palästinensern bei Verhören vor  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Auch nach dem Abkommen von Oslo zwischen Israel und der PLO werden palästinensische Gefangene in israelischen Militär- und Geheimdiensteinrichtungen weiterhin systematisch mißhandelt und gefoltert. Dies geht aus einem Bericht der Nahost-Abteilung der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ hervor, der gestern veröffentlicht wurde. Mittlerweile verstoßen derartige Praktiken auch gegen das Kairoer Abkommen vom 4. Mai, in dem sich Israel und die PLO verpflichteten, die Menschenrechte zu wahren.

Der 300 Seiten lange Bericht enthält detaillierte Aussagen von 36 Palästinensern, die angeblich in den letzten beiden Jahren in neun verschiedenen israelischen Sicherheitszentralen bei Verhören gefoltert oder anders mißhandelt wurden. Zehn der Fälle beziehen sich auf die Zeit nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens vom 13. September 1993. Außerdem enthält der Bericht Darstellungen von Rechtsanwälten, die gefolterte oder mißhandelte Palästinenser vor israelischen Behörden verteidigten, sowie auch Erklärungen einiger israelischer Soldaten, die bei Verhören palästinensischer Gefangener mit anwesend waren. Zitiert werden auch Aussagen israelischer Geheimdienstler, die vor Militärgerichten auftraten.

Wie in dem Bericht ausgeführt wird, kommen Methoden des schweren pychologischen und physischen Druckes systematisch zur Anwendung und werden so praktiziert, daß sie keine sichtbaren Spuren bei den Mißhandelten hinterlassen. Eine der beschriebenen Mißhandlungsmethoden bei Verhören wird „Gashebel“ genannt und besteht aus bei jeder Frage wiederholten Tritten in die Leistengegend des mit den Händen auf dem Rücken gefesselten, sitzenden Palästinensers. In anderen Fällen werden die Gefangenen gezwungen, im Dunkeln in engen sargartigen Kästen zu kauern, um sie so, durch Isolation, Schlafentzug und zusätzlichen Druck – wie das Verbot, die Toilette zu benutzen, Anwendung extremer Kälte, Hitze oder Lärm –, in ein Stadium maximaler Verwirrung und Angst zu versetzen.

„Human Rights Watch“ empfiehlt US-Präsident Bill Clinton, in Zukunft die Höhe der jährlichen Regierungshilfe für Israel (derzeit über drei Milliarden Dollar) von einer Änderung der Praxis bei Verhören von Palästinensern abhängig zu machen.

Der israelische Militärsprecher lehnte in einer Erklärung die Anschuldigungen von „Human Rights Watch“ kategorisch ab. Alle Arten von Folter und Mißhandlung bei Verhören seien gesetzlich verboten, heißt es in der Erklärung des Militärsprechers. Die verwendeten Verhörmethoden seien von höchster militärgerichtlicher Instanz bestätigt worden und das Militär halte sich an diese Regeln. Jeder Gefangene habe das Recht, seine Beschwerden dem Militärgericht vorzutragen, fügte der Sprecher hinzu.

Das israelische Fernsehen zeigte am Dienstag abend einen Dokumentarfilm, der verschiedene Arten der Folter, die angeblich bei Militär- und Geheimdienstverhören der Palästinenser praktiziert werden, illustriert. Israelische Militär- und Sicherheitsbehörden, die in dem Film zitiert werden, weisen alle Vorwürfe dieser Art zurück.

In diesem Tagen sollen einige Hundert palästinensische Gefangene aus der Haft entlassen werden. Israel hält nach wie vor rund die Häfte der 5.000 Gefangenen zurück, die nach dem Kairoer Vertrag bis zum 8. Juni hätten freigelassen werden sollen. Darüber hinaus sitzen ungefähr 3.000 bis 4.000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Angeblich konnten viele Gefangene bisher nicht entlassen werden, weil sie nicht bereit waren, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie die Abkommen zwischen Israel und der PLO unterstützen und zusichern, sich für die Dauer ihrer restlichen Strafzeit lediglich in Jericho oder im Gaza-Streifen aufzuhalten.

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