Bruder über „Beruf Neonazi“

■ Neonazi Florian Althans über Ewald A. und den umstrittenen Film mit seinem Bruder“

Eine umstrittene Filmvorführung im Kino „Cinema“ hat zunächst ein Ende genommen. „Beruf Neonazi“, die Dokumentation über Neonazi-Führer Ewald Althans, ist seit gestern turnusgemäß nicht mehr im Programm. Der Streifen war von AntifaschistInnen mehrfach boykottiert worden, doch am Sonntag konnte sich das Publikum erstmals ein eigenes Urteil bilden. Darunter: Der 23jährige Bruder des Neonazis, Florian Althans. Er lebt mit Freundin und 3-Wochen altem Sohn in Bremen.

taz: War es richtig, den Film zu zeigen. Oder bietet er, wie die Boykottierenden meinten, wegen fehlenden Kommentars ein Forum für faschistische Ideologie?

Florian Althans: Also in erster Linie war der Film für mich ein Schock. Denn ich weiß genau wie meine Eltern auch sehr wenig darüber, was mein Bruder politisch betreibt. Wir wissen zwar, daß er teils durch seine eigenen Aktivitäten, aber auch durch die Presse als Neonazi-Führer hochgejubelt wird. Mehr aber auch nicht. Das jetzt ganz konkret in diesem Film zu sehen war für mich schon sehr schockierend. Man sollte einmal von diesem Gedanken wegkommen, der Film sei faschistische Propaganda. Er stellt faschistische Propaganda dar. Es kommt immer darauf an, in welchen Händen er ist, und was man daraus macht. taz: Gelingt es dem Film, die Gründe für das Anwachsen der Neonazi-Szene darzustellen?

Meiner Meinung nach nicht. Er spiegelt Aktivitäten wieder, zeigt führende Personen der Szene. Wenn man meinen Bruder mal als „Hauptdarsteller“ nehmen will, – obwohl mich der Begriff stört, so zeigt er in keiner Weise, wie es dazu kommen konnte. Er zeigt nur wie es ist. Wenn der Film nicht den Anspruch hätte, zu zeigen wie jemand da hinkommt, sondern nur: So ist es, dagegen müsst ihr kämpfen, dann fände ich das ausreichend. Die Frage, wie jemand wie mein Bruder Neonazi wird, kann außer ihm auch niemand wirklich beantworten. Das können auch meine Eltern in dem gezeigten Interview nicht, weil die politische Arbeit meines Bruders immer außerhalb der Familie stattfand. Wir sind gleich erzogen worden, haben diese Erziehung aber nur anders angenommen.

Du bezeichnest Dich als überzeugten Antifaschisten. Gibt es eine Erklärung, warum sich zwei Brüder so gegensätzlich entwickeln?

Ich kann es nicht beantworten. Ich habe die Erziehung angenommen, wie es meinem, mein Bruder, wie es seinem Wesen entsprach. Das Zuhause spiegelt diese Richtung in keiner Weise wieder. taz: Gibt es noch einen Kontakt zu Deinem Bruder? Ganz selten. Das beschränkt sich auf ein paar Telefonate. Ich habe ihn, glaube ich, vor eineinhalb Jahren das letzte mal gesehen. Wir sehen uns kaum, da er immer in der Weltgeschichte herumschwirrt.

Es kam zu einigen Lachern in einer Szene mit Ewald Althans und den Eltern. Deine Mutter beschreibt Ewald als immer schon etwas extrem. Das habe schon im Waldorf-Kindergarten angefangen. Der Neonazi als kleiner Junge von Nebenan?

Das hat mich auch sehr gestört. Ich finde diese ganze Szene sehr ungeschickt. Auch die erste Sequenz mit meinem Vater, der erzählt, er könne sich nicht vorstellen, daß aus so etwas Gewalt erwächst. Es spiegelt die Hilflosigkeit und Ahnungslosigkeit meiner Eltern wieder, die ich mir selbst aber auch vorhalten muß. Gut, ich kann jetzt sagen: Ich habe den Film gesehen und weiß jetzt bescheid. Das reicht aber nicht aus. Ich drücke es mal böse aus: Meine Mutter wird hier auch so als das naiv-blauäugige Dummchen dargestellt. Ich will die Haltung meiner Eltern nicht verteidigen. Doch ich kann sie aus ihrer Sicht auch verstehen. In den letzten Jahren, in denen mein Bruder zuhause lebte, verging kein Tag ohne extremen Streit. Nachdem er auszog, kam es nur noch selten zu Kontakten. Meine Eltern suchen geradezu die Normalität. Unterhalten sich über das Wetter oder Backrezepte, weil sie dieser Konflikte mit meinem Bruder vermutlich total satt haben.

Ist das ein Spiegel einer allgemeinen Hilflosigkeit gegenüber dem Neofaschismus?

Ich denke, das ist hier ein ganz spezielles Problem zwischen Eltern und Kind. Ich kann mir darüber kein Urteil erlauben, weil ich selbst als Vater erst in eine Eltern-Kind Beziehung hineinwachse. Ich finde die ablehnende Haltung, auf die ich schon am ersten Abend bei den Demonstrierenden gestoßen bin, völlig falsch. Die Kinobesucher sind von vorneherein nur angegriffen worden. Eine von ihnen geforderte Diskussion war überhaupt nicht möglich. Wer nimmt sich das Recht, sich seine eigene Meinung bilden zu dürfen, es den anderen aber zu verbieten, weil sie anscheinend nicht mündig genug sind. taz: Kannst Du das Argument nachvollziehen, unkritische Zuschauerinnen könnten durch den Film ungünstig beeinflußt werden? Althans: Der Film stellt dar, wie Rechte zum Beispiel mit Videos Reklame für sich machen. Es ist Unsinn, zu sagen, daß er selbst Reklame für diese Leute macht. Ich finde es sehr wichtig, daß der Film gezeigt wird. Ihn mit einer Diskussion zu verbinden, ist nötig. Aber es muß in diesen Debatten auch ein Austausch stattfinden können. Ich wünsche mir einen solchen Austausch, der aber mit den Demonstranten im Cinema absolut unmöglich war.

Int.: André Hesel