Im Takt der Benzinpumpe

■ 300 mal „dacapo“: Ingo Ahmels über die Auswirkungen Neuer Musik auf die Gehörgänge

Wenn's irgendwo in Bremen seltsam gongt, plätschert, raschelt oder tost, ist möglicherweise wieder ein „dacapo“-Konzert im Schwange. 299mal hat der rührige Konzertverein das Bremer Publikum Hören und Sehen gelehrt: mit ätherischen Flötentönen, gnadenlosem Saxofonkrach oder – Stille. Ingo Ahmels, selbst Komponist und Musiker, hält den Laden am Laufen, mit derzeit zwei Mitarbeitern. Der taz erzählte er, was ihm beim Hören so durch die Ohren geht.

Läuft man nach 300 dacapo-Konzerten mit anderen Ohren herum? Hörst du jetzt anders, wenn du durch die Stadt gehst?

Immer. Das ist ja das Phänomen, wenn man John Cage für sich entdeckt, der für uns ja eine große Rolle gespielt hat: Daß man begreift, es gibt die Stille nicht. Er sagt: „all sounds“, also: alles sind Klänge oder alles klingt. Auf dem Weg durch die Stadt kann man dann plötzlich Verkehrslärm als eine ästhetische Erfahrung wahrnehmen, oder was für reiche Klänge Motoren erzeugen können. Jetzt gerade hat mir ein Komponist erzählt, der für uns ein Stück mit Bläsertrio geschrieben hat, das mit sehr komplizierten rhythmischen Elementen arbeitet – eigentlich nur Klappen- und Hauchgeräusche; der ist also mit seinem kaputten Wagen nach dem Konzert an eine Tankstelle gefahren und plötzlich hört er, wie die Benzinpumpe genau den Anfang seines Stückes spielt. Das zeigt genau, daß alle Musik im Kopf stattfindet. In diesem Wahrnehmungsprozeß, der ja eigentlich ein Wahrgebungsprozeß ist, stellst du den Klang her, den du hörst. Du kannst ja auch Sachen ausblenden, die du nicht hören willst. Ich bin sicher, daß 100 Leute in einem Konzert 100 verschiedene Konzerte hören.

Trotzdem ist Musik zu einer Art Grundrauschen für den Autofahreralltag geworden. Spielt ihr in eurem Programm dagegen an oder verarbeitet ihr solche Phänomene?

Zum Handwerk eines Veranstalters gehört es ja nicht nur, Konzerte zu veranstalten, sondern auch Konzerte zu verhindern. Es gibt ein unglaubliches Überangebot in allen Bereichen. Positiv gesagt, heißt das: Sich auf das zu konzentrieren, was wirklich notwendig ist, was ein Gegengewicht bildet zu dieser Dauerberieselung. Wir haben in der letzten Zeit ja ein wenig die Stille erforscht. Was mich da wirklich vom Hocker gehauen hat, war das Konzert mit dem Shakuhachi-Spieler Yoshikazu Iwamoto. Ein ganz bescheidener Mann mit seiner Bambusflöte, der Raum war leer und weiß, es gab einen Stuhl auf der Bühne. Es wurde ruhig im Saal, und der Mann entfaltete auf dieser Shakuhachi einen Reichtum von Klängen in seinen ganz ruhigen Stücken – das war so ein Erlebnis, das mich wirklich umgehauen hat. Es gibt aber auch Leute, die mit genau den gegenteiligen Mitteln arbeitet, wie Peter Brötzmann und der Schlagzeuger Han Bennink. Die haben auf einer Energieebene angefangen, wo ich dachte: diese Idioten. So laut, so energiegeladen – wie wollten sie das steigern? Und dann ging es doch noch immer höher von der Intensität her.

Was haben die Zuhörer davon?

Sie sind wirklich im Zentrum unserer Bemühungen. Wir verzichten ja zum Beispiel oft auf Bühnen. Das heißt: Die Musiker sind auf der gleichen Ebene wie das Publikum; wir bevorzugen dabei Halbkreisformen. Das Publikum ist wirklich Partner der Musiker. Das wissen wir auch aus der Rückkopplung einiger Musiker, die uns erzählen, was für eine Energie sie da zurückbekommen haben. Offenbar können die Bremer einfach gut hören. Dieser Spruch des Bremer Komponisten Hans Otte könnte unser Schlachtruf sein: „Den Hörer wiederentdecken als Partner von Klang und Stille.“

Dacapo soll doch aber mehr sein als eine Art Hörschule mit besten pädagogischen Absichten. Kann der Webern-Abend am Samstag z.B. nicht auch einfach gute Unterhaltung sein?

Alles, was Qualität hat, besitzt immer auch eine unterhaltende Facette. Da sehe ich auch überhaupt keinen Konflikt. Da grenzen wir uns auch von den Leuten ab, die immer das große „N“ so betonen in der Neuen Musik. Das interessiert uns gar nicht. Es ist kein Religionsersatz, wie das vielfach in dieser Szene behandelt wird. Das war ja auch eine der Grundideen, als wir damals in der Waller Kneipe „Havanna“ mit der Konzertreihe angefangen haben. Da saß das Publikum eben nicht gleichgerichtet in Reih und Glied, um auf eine Bühne zu gucken, die auch noch höher liegt, und wo dann so ein armer Pianist jesusmäßig die Leiden dieser Welt auf sich nimmt, durch die Position der Bühne zwar auch näher zu Gott, aber im Grunde eine zerstörte Existenz. Dieses Konzept, wie es aus dem 19. Jahrhundert stammt, finde ich kläglich. Das interessiert mich nicht. Es gibt Leute wie Satie, die sich früh davon abgegrenzt haben – das sind unsere Partner von Anbeginn.

Gibt es Orte in Bremen, an denen ihr gerne mal ein dacapo-Konzert geben würdet?

Ich habe zwei Träume. Einmal: die Wiedereinführung antiker Verhältnisse; ich möchte, daß die Zuhörer für ihre Aufmerksamkeit im Konzert bezahlt werden. Das ist mein erstes Ziel für Bremen. Das zweite wäre ein Konzert in der Bahnhofsvorhalle. Da sind wir noch nicht rangekommen. Da reizt mich der Klang dieses Raumes.

Mehr so ein Kathedralhall, nehme ich an.

Es ist ein großer, diffuser Klang, ideal für Cage-Aufführungen. Aber auch die Menschen dort sind was Besonderes. Ich wünschte mir, daß die an den Musikern vorbeigehen und denken: Huch, da ist ja was, was da nicht hingehört. Dieses fast kindliche Staunen über Klänge – das ist, glaube ich, eine Haltung, die uns aus dem Sumpf der Berieselung herausführen kann. Fragen: tom

300. Dacapo-Konzert am 18.6. um 20 Uhr, Untere Rathaushalle: Manfred Reichert und das Ensemble 13 spielen ein „Live-Konzert-Hör-Spiel“ mit dem Titel: „Sind Töne Töne oder sind Töne Webern?“