Zwischen den Rillen
: Konkreter Dschungel

■ Gegengift zur Ghettoromantik: M.C. Chile und sein Low-budget-HipHop

HipHop ist und war schon immer ein Ausmessen des Spannungsfelds von Ghetto-Realismus und Geschäft. Nirgendwo ist die street credibility so wichtig wie hier, nirgendwo ist sie in den letzten Jahren so gefährdet gewesen. Parallel zum kommerziellen Aufschwung des HipHop betonen die einzelnen Rapper immer offensiver ihre immer noch vorhandene Bindung zur heimatlichen hood, indem sie zum Beispiel die Kumpels von früher einen Vers auf der neuesten Scheibe rappen lassen.

Diese Strategie ist durchaus öffentlichkeitswirksam – niemand mag gern bestreiten, daß Snoop Doggy Dogg genau der ist, als der er rappt. Gleichzeitig vernebelt die intakt gehaltene persönliche credibility jedoch die Tatsache, daß das Bild vom Ghettoleben im HipHop oft ein recht romantisiertes ist. Dies liegt weniger an der Musik als an der Präsentation der großen Plattenfirmen und ihrer geschäftlichen Logik.

Jüngstes Beispiel ist das Cover der LP des neuen Stars Nas: ein hübscher Fünfjähriger blickt abgeklärt und welterfahren in die Kamera, während hinter ihm triste housing projects in den Himmel ragen – das Ghetto ist hart, aber ästhetisch, sagt uns diese Montage. Es ist ein mit dem Siegel der Coolness versehener Abenteuerspielplatz, auf dem die Leute vor allem teure Sportswear tragen.

Vor diesem Hintergrund ist es immer wieder heilsam, wenn einen hier in Deutschland obskure HipHop-Platten erreichen, die unprofessionell genug sind, für den jeweiligen Rapper keine kommerzielle Persona zu entwerfen.

„Everything you wanted to know about Compton ... but was too scared to go there and find out“ von M. C. Chile & The Koncrete Jungo (die CD ist schon etwas älter, hat aber erst jetzt einen deutschen Vertrieb gefunden) ist genau solch ein Fall: auf den ersten Blick ein kruder Low-budget-Schnellschuß, bei näherer Betrachtung aber ein gut lesbares Fundstück, das der vom Major-Rap unbewußt betriebenen romantischen Ghetto-Vereinheitlichung durch „Normalität“ entgegentritt.

Das fängt schon beim amateurhaften Cover an. M. C. Chile und ein den Sportteil der Zeitung lesender Homeboy lehnen an einer mit drei langweiligen tags besprühten Wand und haben die normalsten Klamotten an, die seit langem auf einer HipHop-Platte zu sehen waren. Außerdem ist das Foto unscharf und zu dunkel – es wirkt wie ein Schnappschuß im heimischen Hinterhof. Auch musikalisch ist die Platte billig. Der Produzent Swamp Dogg, ein legendärer Soulsänger und gleichzeitig mit allen Wassern gewaschener Black-Music-Svengali, hat sich nicht gerade verausgabt. Kaum Samples sind auf „Everything...“ zu finden, die Beats tuckern ungefähr auf 86er Standard dahin, auch die Baß- und Synthie-Anleihen bei Dr. Dre wollen nicht für die rechte phatness sorgen. Macht aber alles nichts, schließlich ist Rap in erster Linie Wort.

Mit seinen Worten entfaltet M. C. Chile also ein Panorama des Lebens in Compton, das schon im Titel der Platte auf ironische, aber effektive Weise als authentisch festgelegt wird und das vom Gangsta-Rap vermittelte archetypische Bild dieses L.A.-Ghettos subtil – vielleicht sogar unfreiwillig – zurechtrückt. „Everything ...“ kreist zwar auch um die drei Hauptthemen des Gangsta-Rap – Verbrechen, Frauen, Abhängen mit Kumpels –, verzichtet jedoch darauf, diese machomäßig aufzublasen. Zum Beispiel Frauen: in „I just wanna rock you“ wagt es M. C. Chile, von wahren Gefühlen für das andere Geschlecht zu schwärmen und sich öffentlich nach togetherness zu sehnen, eine Blöße, die sich Snoop Doggy Dogg nie geben würde – auch wenn er unter seinem Gangsta-Panzer vielleicht ähnlich fühlt. In „Free at last“ artikuliert M. C. Chile eine etwas konfuse Utopie, die als Absage an den bekifften Nihilismus des derzeit mächtigsten HipHop-Trends zu verstehen ist. „Growing up in the Ghetto“ sagt schließlich dasselbe wie viele andere HipHop-Songs auch – daß einem die Verhältnisse keine andere Wahl lassen, als kriminell zu werden –, sagt es aber auf die flüchtige Weise, die nur unter Verzicht auf gefällige Selbstinszenierung drin ist.

„Everything ...“ wirkt als Korrektiv. Die Platte erinnert daran, daß die international operierenden HipHop-Stars mit ihren Mega-Produktionen nur ein Teil des Spektrums sind, ein nicht unbedingt repräsentativer zumal. Darunter liegt eine schwarze Independent-Ebene, von der (hoffentlich) noch einiges zu erwarten ist. Johannes Waechter

M. C. Chile & The Koncrete Jungo featuring DJ Faze: „Everything you wanted to know about Compton ... but was too scared to go there and find out“ (S.D.G.E./Koch International)