■ Die Botschaftskrise in Kuba weitet sich aus
: Alle Jahre wieder?

Die Flucht von 128 Kubanern in die belgische Botschaft hat nun doch, mit gut zwei Wochen Verzögerung, die befürchtete Kettenreaktion ausgelöst: Am Montag drangen 21 Flüchtlinge in die deutsche Botschaft ein, jetzt weitere neun in die chilenische. Schnell wird die Parallele gezogen, zumal in Deutschland: Botschaftsflüchtlinge in Budapest und Prag waren schließlich der Anfang vom Ende der DDR – und jetzt also auch Havanna?

Ganz so einfach liegen die Dinge jedoch nicht. Es gibt keine ungarische Regierung, die den Flüchtlingen auf ihrem Territorium die Grenzen öffnen, und auch keine BRD, die bei einer „Abstimmung mit den Füßen“ die Flüchtlinge in unbegrenzter Zahl willkommen heißen würde. Sowenig eine Gesetzmäßigkeit existiert, die auf den Sozialismus den Kommunismus folgen läßt, sowenig ist auch ausgemacht, daß Flüchtlinge in ausländischen Botschaften unweigerlich zu seinem Zusammenbruch führen.

Bereits im Sommer 1990 hielten viele, wie jetzt wieder, das Ende Castros für endgültig gekommen. Prag und Budapest lagen gerade ein halbes Jahr zurück, als in Kuba eine Welle von Botschaftsbesetzungen begann, gegen die sich die jetzige bislang noch bescheiden ausnimmt: Ausreisewillige Kubaner drangen erst in die tschechoslowakische Vertretung ein, dann in die Spaniens, Belgiens, Italiens und der Schweiz. Der politische Dominoeffekt allerdings verpuffte im Nichts. Nach knapp zwei Monaten waren auch die letzten Besetzer mit sanftem Druck hinausverhandelt worden. Das gleiche im September letzten Jahres, als elf Kubaner in die mexikanische Botschaft geflüchtet waren. Das gleiche vor einem halben Jahr, als sieben Kubaner in der belgischen Botschaft Asyl gesucht hatten. Same procedure as every year, also?

Nicht ganz. Spätestens mit der jetzigen Ausweitung der Besetzungen ist aus einem mittleren diplomatischen Problem für die kubanische Regierung eine handfeste politische Krise geworden. Denn ohne Zweifel ist in den vergangenen drei, vier Jahren in Kuba viel Hoffnung verlorengegangen und viel Frustration gewachsen. Gleichzeitig sind allerdings kaum Räume geöffnet worden, über die diese Unzufriedenheit oder inkonforme Stimmen Ausdruck finden könnten. Im Zweifel wird von oben noch immer die „monolithische Einheit“ des revolutionären kubanischen Volkes beschworen. Damit erreicht man einiges: daß die organisierte Opposition klein gehalten wird, daß Ruhe im Land herrscht, daß das Parlament auch die weitreichendsten Sparprogramme einstimmig beschließt, et cetera et cetera. Nur: Man ändert nichts daran, daß mit den immer bitterer werdenden Nöten im kubanischen Alltag und der für viele wachsenden Perspektivlosigkeit sich unter der ruhig gehaltenen Oberfläche die Stimmung in der Gesellschaft verschlechtert.

Im Ausland, vor allem in den USA, warten viele nur darauf, daß diese Situation explodiert, und die Blockadepolitik Washingtons schürt dies auch nach Kräften. Aber genau das ist das Fatale der autoritären Absicherung der Macht in Kuba: Gerade wo es keine geordneten Wege gibt, über die sich diese Stimmung Luft machen kann, wächst der Druck. Und genau dann kann irgendwann eine Lappalie zum Katalysator werden, über den sich um so mehr entlädt. Dies können ein paar Dutzend Flüchtlinge in Botschaften sein. Oder irgendein anderer unbedeutender Anlaß. Bert Hoffmann