Nicht nur sensibelst-gartenlaubenmäßig

■ Die schwule Kicker-Mannschaft „Startschuß“ geht genauso hart ran wie Hetero-Fußballer / In New York geht's heute für die Jungs aus Hamburg zur Sache

Man sieht dem Mann nicht an, daß er eine Respektsperson ist: Reimar Nagel, der mit seinem wüsten Haarschopf selbst KSC-Trainer Winnie Schäfer in puncto Mattenkultur erfolgreich Konkurrenz machen würde, pumpt bedächtig Bälle auf, häßliche, zerschrundene Leder, die gleich darauf malträtiert werden sollen. Seine Spieler wärmen sich derweil mit Übungen auf dem Platz in Volksparknähe für das letzte Training vor dem großen Ereignis auf: Sie sind die Kicker des Startschuß e.V., dem schwulen Sportverein Hamburgs.

„Alle dachten: Homos können wir putzen“

Was wieder und wieder geübt wird, Pässe, Flanken, Schüsse und Dribblings, dient dem Ausflug, der ihnen so am Herzen liegt wie den Vogts-Buben die Verteidigung des WM-Titels in den USA: Nagel & Jungs gastieren dieses Wochenende in New York bei den „Gay Games“, dem schwullesbischen Sportfest schlechthin, das sich nicht „Gay Olympics“ nennen darf, weil das Attribut „olympisch“ vom Internationalen Olympischen Komitee rechtlich geschützt wird.

Im August 1990 wurde die Mannschaft gegründet: „Ich hatte früher schon Fußball gespielt“, sagt Nagel, 42 Jahre alt und Journalist von Beruf. Damals hatte er noch gedacht, daß schwule Männer eigentlich nichts mit Fußball, der heterosexuellen Sportart schlechthin, zu tun haben können.

Ein knappes Jahr absolvierten die Startschuß-Mannen ihren ersten Kick – und gewannen. Wie sie überhaupt viele Spiele unvermutet siegreich beendeten. Ein zweiter Platz beim taz-Fußballturnier gehört nach wie vor zu den spektakulärsten Erfolgen des Teams: „Die haben doch alle gedacht, die Homos können wir putzen“, erinnert sich Rüdiger Hülskamp, Mitarbeiter beim Altonaer Kommunikationszentrum Motte, „waren dann aber überrascht, daß wir genauso hart einsteigen können.“

Ein Spieler, der immer begehrte, in seiner Firmenmannschaft mitspielen zu dürfen, mußte erst mit seinen Startschuß-Kollegen gegen nämliches Betriebsteam antreten – und gewinnen –, ehe ihn seine Arbeitskollegen aufforderten, sein Können im Sinne der Corporate Identity nicht nur den Homos zur Verfügung zu stellen: „Wenn ich es bedenke, hat das mein Selbstbewußtsein tierisch angetörnt.“

Der „Blindenbonus“ ist inzwischen entfallen

Der Blindenbonus, salopp gesagt, ist derweil entfallen: Andere Mannschaften aus der Freizeit- und Alternativkickerszene wissen um die robuste Art des Kicks, dem der Startschuß e.V. frönt. 22 Männer machen derzeit mit, auch einige Heteros sind dabei. „Es ist nett hier“, sagt einer stellvertretend für die anderen, die sich hier erstmals als sexuelle Minderheit fühlen dürfen, „und daß Schwule einem immer gleich an die Wäsche gehen, stimmt auch nicht.“

Ein Kader von etwa 15 Spielern wird in die USA fliegen, mehr konnten nicht freibekommen. Beste europäische Mannschaft wollen die Startschuß-Treter schon werden, „auch wenn die Konkurrenz hart ist“, wie Nagel, früher Union 03, sagt.

Ungern erinnert man sich an ein Freundschaftsspiel gegen die britische Mannschaft vom FC Stonewall: „Wir kamen auf den Platz, da standen die schon, und wir dachten, das sind ja Skins oder andere Schläger“, erinnert sich ein Mittelfeldmann bei Startschuß e.V. Bilanz: Die britischen Jungs waren wirklich schwul, spielten so hart wie sie aussahen und verdroschen kickerisch die Hamburger nach Strich und Faden. „Aber das können wir einstecken“, so Nagel.

Die Tapferen aus Hamburg möchte man sie nennen, zumal sie Fußball als ihre Passion leben und nicht nur liebevoll-sensibelst-gartenlaubenmäßig Volleybälle über das Netz pritschen. In New York, so Nagel, „geht es auch um Spaß, aber uns auch um den sportlichen Erfolg.“ Das Testspiel gegen Rote Beete gewann die Nagel-Truppe mit 5:1, „standesgemäß wie die Mannschaft von Berti Vogts“, sagt Nagel, pumpt weiter Bälle auf und weiß, daß seine Spieler seine sanfte Stimme nicht als sportliche Milde und Güte mißverstehen werden.

Jan Feddersen