Last Exit: der Pipi-Abend

■ taz-Mitarbeiter eine Nacht eingeschlossen im Sündenpfuhl der GLSM

Es ist schon tragisch, was diese Stadt einem angehenden Gummi-Onkel an Lehrstätten bietet. Zwar existiert der eine oder andere Darkroom, die meisten jedoch präsentieren sich so aufregend wie ein durchschnittliches Wartezimmer einer durchschnittlichen Hautarztpraxis in Eppendorf. Last Exit: GLSM („Gruppe Leder SadoMasochismus“)? Das heißt aber: zwei Stunden eingeschlossen zu sein, so verlangen es die „Club“-Statuten. Aber als stolzer Besitzer von Gummi-Chaps konnte ich schließlich einem „Rubber-Abend“ nicht mehr widerstehen. So fuhr ich eines Abends gen GLSM.

Ich schloß mein Fahrrad in sicherer Entfernung ab – es muß ja nicht jeder wissen, daß ich mich derart uncool fortbewege. Mein Verhalten am Eingang war nicht der selbstsichersten Art. „Ob ich vielleicht herein wolle“, erkundigte man sich. Man drückte mir eine braune Eintrittskarte in die Hand, und schon stand ich inmitten des vermeintlichen Sündenpfuhls.

Ein Geruch wie in einer Reifenfabrik schlug mir entgegen, mir wurde heiß, eigentlich wäre ich am liebsten gleich wieder gegangen. Ich bewegte mich leicht wankend zur kleinen, vergitterten Bar und ließ mir durch den Schlitz eine Cola reichen. Eine bedachte Wahl. Schon Stunden vor meinem Aufbruch hatte ich mich systematisch austrocknen lassen – schließlich wollte ich nicht in die Verlegenheit kommen, Wasser lassen zu müssen. Und Cola braucht mindestens ihre zwei Stunden, bis sie durchgelaufen ist.

Ich unterzog die Karte einer genaueren Betrachtung: „Alles auf eigene Gefahr“ stand dort in Versalien. Würden sich die an ihren Bierflaschen saugenden Herren gleich nach Einlaß-Ende über mich stürzen? Mich mit diversen Verletzungen ins nächste Krankenhaus schleifen und dem behandelnden Arzt auf Fragen nach der Herkunft meiner Wunden jenes braune Kärtchen in die Hand drücken?

Ich ließ die Herren weiter an ihren Flaschen nuckeln, über dessen Inhalt ich nichts Genaues wissen wollte, schließlich war ich – sagen wir es einmal salopp – auf einem Pipi-Abend gelandet. Während mein Puls langsam wieder unter 90 fiel, betrachtete ich die mannigfaltigen Verarbeitungsmöglichkeiten gewöhnlichen Fahrradschlauch-Gummis. Meine Chaps wirkten geradezu spießig angesichts der Schlachter-Schürzen, Ganzkörperanzüge, Mäntel, Hosen, Hemden, Masken und anderen obskuren Konstruktionen. Gummistiefel hatte ich zwar schon gesehen, doch noch nie als ausschließliche Bekleidung.

Lautstarkes Geklopfe an den Stahltüren deutete an, daß nun niemand mehr rein – und ich nicht mehr raus kommen würde. Die Herren verließen den Barraum und verschwanden hinter schwarzen Plastikplanen. Ein netter Onkel verwickelte mich tatschend in ein kleines Geplänkel. Ob ich denn wisse, wie es hier so vor sich gehe? Er erklärte mir, daß man sich gleich um die Ecke seiner Kleidung entledigen könne und es unten diverse Räume gebe, in denen man seinen Gelüsten nachgehen könne.

Als ich mich schließlich, voll bekleidet, in die Kellerräume traute, sah ich Slings, eine gynäkologische Abteilung, Piss-Ecken, Festkettmöglichkeiten, eine Badewanne. Dies wurde nett untermalt von düster-atmosphärischen Atonal-Klängen. Nach 15 Minuten benötigte ich ersteinmal eine weitere Cola. Die kahlrasierte Bedienung bekundete sofort Interesse. Na ja, den konnte ich mir ja immer noch für später aufheben.

Die zweite Keller-Runde stand an. Ich entdeckte niemand Interessantes und beobachtete die sich anpissenden, fickenden, blasenden und arschleckenden Gestalten – schon wesentlich lehrreicher als die Darkrooms der Stadt. Nach einiger Zeit zog es mich wieder nach oben zu jenem geschorenen Männchen. Ob er denn irgendwann mal aus seinem Käfig rauskäme, wollte ich wissen. „Wenn er frei hätte, schon“, antwortete er verheißungsvoll. Als er dann nach zehn Minuten herunterkam, teilte er mir nur mit, daß er nichts mit anderen mache. Toll! Idiot! Treibt der es nur mit Tieren oder was?

Meine Lust, nach weiteren Lustobjekten zu suchen, fand deshalb ein jähes Ende. Da ich bis zur Auslaßzeit noch ein knappes Dreiviertelstündchen zu überbrücken hatte, ließ ich mich von einem vollbärtigen Berliner Maso in ein Gespräch verwickeln. Er stellte sich zwar als recht nett heraus, doch deswegen wollte ich ihm noch lange nicht in seine Gummistiefel urinieren. Plötzlich sah ich auch die kahle Feschheit wieder, einen waschechten Sado, wie er mir versicherte. Na ja, dann wäre sowieso nichts gelaufen, erklärte ich ihm. Zur Probe knallte er mir eine.

Noch 15 Minuten standen zwischen mir und meinem Fahrrad. Kurz vor eins – gleich geschafft – da steckt mir der harte Mann doch seine Zunge in den Mund und geht mir an den Schritt. Ist – ja, ja, ja – nett, doch was soll's jetzt noch? Es ist 1 Uhr geworden.

Back on bike überlegte ich, die Chaps zu Fahrrad-Ersatzschläuchen zu machen – und mein Leben als Textil-Tunte zu fristen. Oder gehe ich doch wieder hin?

Gregor Gerlach