Kunst als Hobby oder Konzept?

■ „Containsart“: Zwölf HIV-Positive zeigen ihre Malerei an den Landungsbrücken

Vor den Landungsbrücken stehen zwei blau-rot gestreifte Container auf dem Busparkplatz. In den zwei gekoppelten und mit Oberlicht und Glastüren umgebauten Containern wandert diesen Sommer eine Ausstellung von Kunst aus der Malwerkstatt Weber/Salge durch die Stadt. Vier Stationen, von Waltershof bis Barmbek, sind geplant. So wird an ungewohntem Ort eine Reihe von 2,30 Meter hohen, als abstandsloses Fries gehängten expressiven Farbgemälde zugänglich. Eines der Bilder wird von schwarzem, zähflüssigem Teer langsam aufgefressen, bei einem anderen grinsen Fratzen auf schwarzem Untergrund. Ein zusätzlicher Sinn erschließt sich bei diesen Bildern, wenn die Besucher mehr über die Hersteller erfahren: die Gruppe Freie Malerei für HIV-Positive.

Bei der Präsentation dieser Kunst entsteht ein kaum lösbares Problem: Die Krankheit ist der Grund für die künstlerische Arbeit, doch sie soll möglichst nicht der Anlaß für das Interesse an den Ergebnissen sein. Also raus aus den mitleidsbezogenen Flurausstellungen der Fachinstitute und in neuen Formen ungeschützt an die kritische Öffentlichkeit. Und doch wird solcher Kunst eine besondere Bedeutung zugemessen: Hinter dem Pinsel lauert der Tod - oder er wird dort zumindest vermutet.

Das ergibt ein existenzielles Argument mit unabweisbarem Anspruch und weist weit in die Kunstgeschichte zurück auf eine lange Tradition von Totentänzen und „Vanitas“-Darstellungen. Nicht nur zu Zeiten von großen Seuchen schauten den Malern Totenschädel bei der Arbeit zu, und im Stilleben führten sie die Vergänglichkeit der Welt vor. Heute befassen sich, anders als in New York, in Europa nur wenige Künstler direkt mit Symbolen der neuen Bedrohung. Es reicht meist schon, wenn die Bilder das Stigma tragen, sie seien von einem dem Verfall Geweihten erstellt.

Wird von einem berühmten Künstler bekannt, daß er Aids hat, reagiert der Kunstmarkt schon mal mit spekulativer Wertsteigerung. Über die Qualität der Kunst besagt das wenig. Angesichts der lebensbedrohenden Krankheit steigt aber oft die Intensität von Wahrnehmung und Ausdruck. Die Organisatoren des Projekts, Matthias Weber und Detlev Salge, bemerken bei HIV-Infizierten eine deutlich höhere Sensibilität und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für Kunst. Nicht nur weil Joseph Beuys gesagt hat: „Jeder Mensch ein Künstler“ bietet sich die Kunst als Verarbeitung des Erlebens an. Doch der grundsätzliche Unterschied zwischen Kunst als allgemeines kreatives Potential und Kunst als spezielles System bleibt bestehen. Jeder kann Kunst als Ausdrucksform für sich wählen, nur ist das etwas anderes als das professionelle Arbeitsfeld Kunst, in dem Ausbildungswege und Marktmechanismen über Anerkennung und raren Erfolg entscheiden. Psycho-Kurs in der Toscana oder HIV-infiziertes Malen: Alle therapeutische Kunstanwendung bleibt immer von nur privatem Interesse.

So ist Containsart ein Paradox: Während die Bilder der zwölf Betroffenen anonym und in ihrer Mischung zwischen ausdrucksstark und dekorativ eher beliebig bleiben, ist die Gesamtaktion von Matthias Weber und Detlev Salge eine durchaus aktuelle Kunst-Arbeit. Ihre Kunst, das Projekt durchzusetzen, eröffnet erstrebenswerte Freiräume im sozialen Feld für Kreativität und Illusionen weit über eine Leinwand hinaus.

Hajo Schiff

Container an den St.Pauli Landungsbrücken, geöffnet Di-Fr und So 11-13 und 15-18 Uhr, bis 3. Juli; für Aktionen an den anderen Standorten werden noch dringend Spenden gebraucht; Kontakt: Atelier Weber-Salge, Hans-Henny-Jahnn Weg 67 A, FonFax: 220 86 55