„Nicht mit dem Sofabein ficken“

■ Lesben im Nationalsozialismus: als „Asoziale“ und „Volksschädlinge“ ins KZ gebracht Von Hanna Kästner

50 Jahre nach dem Holocaust gedachten jüngst 150 Homosexuelle erstmals in der israelischen Gedenkstätte Yad Vaschem der etwa 200.000 lesbischen und schwulen Opfer der deutschen Nazis. Orthodoxe Juden organisierten unter dem Motto „keine Schwulen mehr“ eine Gegenveranstaltung. Einen Tag vorher hatte der italienische Neofaschist Piero Buscaroli, Europaparlaments-Kandidat der Nationalen Allianz, gefordert, Homosexuelle ins Konzentrationslager zu schicken.

Homosexuelle waren auch während des deutschen Faschismus nicht nur der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt, zusätzlich wurden sie durch andere Nazi-Opfer ausgegrenzt. Dies erschwerte ihr Überleben in der Illegalität wie im KZ. Entsprechend kompliziert gestaltet sich die Aufarbeitung ihrer Geschichte. Nachforschungen über Lesben stehen vor einem besonderen Problem: Während schwule Männer mit dem berühmten rosa Winkel gekennzeichnet wurden, tauchen lesbische Deportierte in den Akten nicht als solche auf. Der Paragraph 175 galt für Frauen nicht, Lesben wurden nicht strafrechtlich belangt.

Daraus zu folgern, daß Lesben nicht von den Nazis verfolgt wurden, ist aber falsch. Im Gegenteil: Sie wurden verhaftet, gequält und ermordet.

Als ein besonders drastisches Beispiel sei das Schicksal von Helene G. aus Schleswig-Holstein beschrieben. Sie war von 1943 bis 1945 Luftwaffenhelferin in Oslo. Sie lebte dort in intimer Gemeinschaft mit einer anderen Luftwaffenhelferin zusammen, die das Pech hatte, einem Leutnant der Luftnachrichtentruppe zu gefallen. Als sie die Zudringlichkeiten des Mannes zurückwies, gerieten die beiden Lesben in die Schußlinie des nationalsozialistischen Kriegsrechts. Sie wurden verhaftet und getrennt, Helene G. wurde wegen Wehrkraftzersetzung vor ein Kriegsgericht gestellt, aus der Wehrmacht ausgestoßen und in das KZ Bützow in Mecklenburg-Vorpommern gebracht.

Dort kam sie mit sechs anderen Lesben in einen Extrablock und wurde von männlichen Kapos bewacht. Bei der Einlieferung sagten die SS-Posten zu den russischen und französischen Kriegsgefangenen: „Die hier sind der letzte Dreck. Die würden wir nicht mit dem Sofabein ficken. Wenn ihr die ordentlich durchzieht, kriegt ihr jeder eine Flasche Schnaps“. Sexuelle Kontakte zwischen deutschen Frauen und Ausländern waren in der Nazizeit ansonsten strafrechtlich verboten.

Die Lesben wurden – streng von den anderen Frauen getrennt – unter SS-Bewachung zur Arbeit geführt und bekamen das übliche KZ-Essen (Wassersuppe ohne Fleisch und Fett mit verfaulten Kohlblättern o.ä.). Zwei der sieben Frauen verhungerten. Helene G. überlebte das erste Nachkriegsjahr und starb dann an Lungentuberkulose.

Die Tatsache, daß Lesben in KZ-Akten und anderen Unterlagen in der Regel mit den Stichworten „asozial“, „kriminell“, „Prostituierte“ oder „Wehrkraftzersetzung“ gebrandmarkt wurden, unterstreicht die auch im Dritten Reich übliche Tabuisierung der weiblichen Homosexualität. Verläßliche Daten über die Zahl der lesbischen Faschismus-Opfer gibt es daher nicht. So wissen wir zwar, daß im KZ Neuengamme von 13.500 Frauen 400 Deutsche waren, wieviele jedoch aufgrund ihrer sexuellen Orientierung dorthin verschleppt wurden, ist nicht festzustellen.

Ein häufiger Haft- oder Deportationsgrund für lesbische Frauen war angebliche (heterosexuelle) Prostitution. Als weiterer Grund galt das Austauschen von Zärtlichkeiten unter Frauen, dies wurde als Unzucht oder Belästigung bezeichnet. Da Lesben die „nationale Pflicht“ der Frauen, nämlich Kinder zu bekommen, verweigerten, mithin „völkische Fahnenflucht“ begingen, galten sie als „Asoziale“. Durch diese Kategorisierung erhielten Lesben den Status eines „Volksschädlings“.

Die Theorie, daß sogenannte „triebhafte Lesben“, d.h. Lesben, die in ihrem bisherigen Leben keinen freiwilligen sexuellen Kontakt zu Männern hatten, heterosexuelle Frauen verführen und sie dadurch der Reproduktion entziehen, war die Grundlage für die Einstufung lesbischer Frauen als „Wehrkraftzersetzerinnen“. Die Verfolgung von Lesben im Nationalsozialismus basierte auf dem bevölkerungspolitischen Ziel, mög- lichst viele Kinder produzieren zu lassen. Das spiegelt sich vor allem in der Einrichtung der „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ im Jahre 1936 wider, mit der jede Verhinderung von Nachwuchs ausgeschlossen werden sollte. Die Entscheidung, lesbische Sexualität nicht strafrechtlich zu verfolgen, begründete das Reichsjustizministerium damit, daß homosexuellen Frauen ihre reproduktive Kraft erhalten bleiben würde. Weibliche Sexualität wurde zum Politikum, sie war nicht „mehr nur Sache der Liebe, sondern steht unter politischer Verantwortung, unterliegt den Forderungen der Rassenpflege und der Rassenpolitik“. Als bevölkerungspolitische Gefahr wurden allerdings die „echten Tribaden“ angesehen, die auch auf staatlichen Druck nicht bereit waren, gegen ihre sexuelle Orientierung zu leben, zu heiraten und Kinder zu gebären.

Verfolgung und Diskriminierung drückten sich nicht nur in der Inhaftierung der Betroffenen aus, sondern hatten ihre stärkste Auswirkung im Verschwinden lesbischen Lebens in der Öffentlichkeit und in dem damit verbundenen Anpassungsdruck. Bereits am 23. Februar 1933 verfügte der „Erlaß zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit“ die Schließung lesbischer Treffpunkte. Zeitschriften, Bücher von und für Lesben wurden per Erlaß vom 7. März 1933 untersagt. Noch am Tag der Machtübernahme am 30. Januar waren bereits alle Homosexuellen-Organisationen verboten, ihre leitenden Mitglieder verhaftet worden. Es begannen Razzien in den einschlägig bekannten Treffpunkten und Lesbenlokalen. In den Wohnungen der polizeilich be- kannten Lesben wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt.

Viele Frauen reagierten mit Rückzug. Auf die Frage, ob sie nach 1933 noch offen als Lesben leben konnten, antworteten Frauen: „Nein, das konnten wir uns nicht erlauben. Wenn wir uns unterhalten haben, immer hinter Schloß und Riegel!“ Um den Schein der Heterosexualität zu wahren, wurden auch viele sogenannte 175er-Ehen, d.h. Ehen zwischen Lesben und Schwulen geschlossen. Dies war allerdings nur denjenigen möglich, deren Homosexualität nicht amtsbekannt war, da das Ehegesundheitsgesetz ansonsten ein generelles Eheverbot vorsah: „Im Falle, daß die Ehe nur mit dem Zweck der ungestörten Befriedigung perverser Neigungen geschlossen wird, so ist damit selbstverständlich der Wille zum Kind und die seelische Grundlage für die Erziehung etwa doch gezeugter Kinder als ausgeschlossen zu betrachten.“

Etliche Lesben gaben ihre Lebensform allerdings nicht nur zum Schein auf, sie heirateten heterosexuelle Männer, gebaren Kinder und verleugneten ihre lesbische Identität zum Teil sogar bis zu ihrem Lebensende. Zu diesem Entschluß hat sicherlich oftmals, neben der Angst vor Haft, die sich nach der Machtübernahme rapide verschlechternde wirtschaftliche Lage der Frauen beigetragen.

Emigrierte Lesben aufzuspüren ist ähnlich schwierig, wie das Schicksal internierter Lesben herauszufinden. Geflüchtete prominente Lesben etwa hatten meist mehrere Emigrationsgründe. Anna Freud zum Beispiel war auch Jüdin, Erika Mann mußte politische Verfolgung fürchten. Anders bei Christa Winsloe, der Autorin von „Mädchen in Uniform“: Für sie war ihr Lesbischsein Emigrationsgrund. Sie verließ Deutschland 1938 zusammen mit ihrer Freundin und lebte in Südfrankreich.

Allerdings arbeiteten einige Lesben aus Angst um ihr eigenes Leben oder das ihrer Freundin mit dem nationalsozialistischen System zusammen, wie etwa Elsbeth Killmer, bis 1933 verantwortliche Redakteurin der Lesbenzeitschrift „Die Freundin“. Sie trat frühzeitig in die NS-Frauenschaft ein, leugnete, je veröffentlicht zu haben und beantwortete Fragen nach ihrer früheren Gesinnung mit „deutsch-völkisch“. Und es gab natürlich auch „völkische Lesben“, die die Ziele des Nationalsozialismus befürworteten. Eine gefürchtete Frauengefängnisaufseherin soll nach Augenzeuginnenberichten Frauen sexuell mißbraucht und durch Bestechung zum sexuellen Verkehr gezwungen haben. Auch die KZ-Aufseherinnen Mandel und Grese, die beide als äußerst grausam gefürchtet waren, sollen lesbische Neigungen gehabt haben.

Zwar hatte es bei der Strafrechtsreform von 1935 für den Nazijuristen Rudolf Klare keinen Zweifel daran gegeben, daß „weiblicher gleichgeschlechtlicher Verkehr nach wie vor als strafwürdig anerkannt werden muß“, er hielt eine strafrechtliche Verfolgung allerdings für zu problematisch, da Frauen „von Natur aus“ innigeren Umgang miteinander hätten und deshalb homosexuelle von heterosexuellen Zärtlichkeiten nur schwer zu unterscheiden seien.

So gab es für Lesben weder eine eigene Kennzeichnung noch den offiziellen Einlieferungsgrund Homosexualität. In nur wenigen Augenzeuginnenberichten werden mit dem rosa Winkel gekennzeichnete Lesben erwähnt. Zwar findet man in Verhaftungsunterlagen eindeutige Hinweise wie „Triebhafte Lesbierin, verkehrte nur in solchen Lokalen“ und „Lesbierin. Suchte fortgesetzt lesbische Lokale auf und tauschte im Lokal Zärtlichkeiten aus“, der offizielle Einlieferungsgrund lautete jedoch stets auf andere Vergehen.

Am 18. September 1942 schlossen der Reichsführer der SS, Himmler, und Reichsjustizminister Thierack ein Abkommen über die „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit“. Betroffen von dieser Maßnahme waren Frauen (und Männer), die wegen kleinkrimineller Delikte, Rassenschande oder Homosexualität einsaßen.

In den Konzentrationslagern waren Lesben isoliert, sie wurden von ihren Mitgefangenen verachtet und ausgegrenzt. Bereits bei der Unterbringung der als lesbisch bekannten Frauen wird dies deutlich: Lesben steckten die Nazis besonders gerne in Lagerbordelle, dort würden sie „schon wieder auf Vordermann“ gebracht.

Die meisten Zeugnisse über Lesben in KZs sind Überlebensberichte, die von heterosexuellen Frauen verfaßt wurden. Sie spiegeln die zeitgenössischen Vorurteile über Lesben wider und sind daher mit Vorsicht zu lesen. So beschreibt Fania Fénelon in ihrem Überlebensbericht „Das Mädchenorchester in Auschwitz“ eine von ihr im Lagerbordell beobachtete „lesbische Orgie“ mit den Worten: „Diese Pipi-Mädchen, die ihre zärtlichen Gefühle füreinander nicht verniedlichen.“

Nahmen Frauen in den Konzentrationslagern sexuelle Beziehungen auf, riskierten sie schwerste Bestrafungen, wie z.B. Nahrungsentzug für einen oder mehrere Tage, langen Steharrest bei Wind und Wetter, Prügelstrafen (25-100 Schläge), Bunkerhaft, während der gefoltert und verhört wurde, und Einweisung in den Strafblock oder die Strafkompanie. Bei der sowieso katastrophalen Ernährung und dem schlechten Gesundheitszustand konnte jede dieser Strafen den Tod bedeuten.

Unter dem Titel „Erinnern - Aufschreien - Handeln“ veranstaltet die „Hamburger Kirche (nicht nur) für Lesben und Schwule“ am morgigen Sonntag um 15 Uhr in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme einen Gedenkgottesdienst für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus.