Vater: „Gehste wieder zu deiner Sekte?“

■ Junge Schwule und Lesben über Täuschungsmanöver, scheele Blicke, blöde Tanten, Schulprolls, Klappen und Pädophile

Samstagabends Trübsal blasen, weil man nicht weiß, wohin – diese Sorge sind Ralf, Christian und Tanja los. Sie treffen sich jeden Samstag ab 17 Uhr mit anderen Schwulen und Lesben zwischen 15 und 25 Jahren in der Jugendgruppe „Sappho und Apoll“ im Rat&Tat-Zentrum (Kontakt: 704077). Ralf (22) lernt Kinderpfleger, Christian (24) macht grade sein Fachabitur und will dann Design studieren, Tanja (20) geht noch zur Schule.

Wissen eure Eltern Bescheid?

Tanja: 'türlich, die wissen alle Bescheid.

Und, wie hast du's ihnen erzählt, abends beim Wein?

Tanja: Nee, beim Bailey's. Meine Mutter war erst ziemlich geschockt und fragte, was ist denn mit den ganzen Jungs, die hier immer sind. Na, das sind gute Freunde, hab ich gesagt. Mein Vater war 'ne Woche ziemlich runter, weil ich ihm ja sonst nie Ärger gemacht habe. Es hat dann aber nicht lange gedauert, bis er es geschluckt hat, und gegen Sommer hat er sich eine halbe Stunde mit einem schwulen Freund von mir unterhalten, als ich grad nicht da war. Manchmal kommen halt noch so kleine Kommentare wie „Na, gehste wieder zu deiner Sekte?“

Hast du dann auch deine Freundin vorgestellt?

Tanja: 'türlich. Meine Eltern waren begeistert. Wir kamen abends nachhause, mein Vater war grad im Sessel eingedöst, machte die Augen auf und sagte nur „Hallo“. Wir gingen in die Küche, da sagt er zu meiner Mutter: „Ich glaub, ich hab grad einen Engel gesehen.“

Und wie habt ihr beiden Männer es angestellt?

Christian: Eigentlich hat es meine Mutter angestellt. Vor vier Jahren, ich hatte einen Freund, hat sie mich zur Rede gestellt, eigentlich ziemlich aggressiv. Ich hab's ihr erzählt, und ich bin dann derjenige gewesen, der in Tränen ausgebrochen ist. Ich hab Rotz und Wasser geheult, weil ich einfach zu dem Zeitpunkt noch nicht bereit war, zu erzählen, was mit mir los ist. Sie hat mich dann in den Arm genommen und getröstet. Sie wollte eben einfach eine Bestätigung haben. Ich hab damals Bücher geholt wie „Schwul, na und?“, die hab ich auch ins Regal gestellt, das hat sie gesehen.

Habt ihr auch mal mit lesbischen oder schwulen Freunden eine Heterobeziehung vorgespielt?

(Alle kichern)

Christian (zu Tanja): Sag nicht, daß du das nicht gemacht hast!

Tanja: Naja, meine damalige Freundin hat, als ihre Mutter Wind bekommen hat, an Weihnachten einen Scheinfreund vorgestellt. Das war natürlich nicht so ganz nett.

Und ihr, habt ihr Mädchen vorgeschoben?

Ralf: Klar, so mit 16/17 haben dauernd irgendwelche Freundinnen bei mir angerufen – das war für mich sehr angenehm, damit war die Diskussion einfach nicht möglich, das war eben eine Scheinwelt. Meine Mutter hat das auch geschluckt.

Die Freundinnen wußten's aber?

Ralf: Nee.

Also doppelter Schein ...

Ralf: Ja genau. Letztes Jahr im November hab ich's dann meiner Mutter gesagt. Ich hatte die tierischen Ängste, daß sie es völlig ignoriert oder sich Vorwürfe macht. Aber sie meinte, sie hätte sich das schon gedacht, das klang aber so nach „Morgen muß ich Milch holen“. Groß darüber gesprochen haben wir nicht.

Wenn's die Familie weiß, ist wahrscheinlich das Schlimmste geschafft ...

Ralf: ... naja, ich krieg wahrscheinlich im Kindergarten noch mit dem Vorurteil „Schwule verführen kleine Kinder“ zu tun, wenn ich mit der Ausbildung fertig bin.

Was sind denn die blödesten Reaktionen, die ihr zu hören bekommen habt?

Ralf: Also die dämlichste Antwort hab ich von meiner Schwägerin bekommen, die sagte: „Laß bloß den Manuel zufrieden“. Das ist mein 14jähriger Neffe.

Tanja: Oder manchmal die Blicke auf der Straße, wenn ich mit meiner Freundin Arm in Arm gehe. Da drehen sich die Leute manchmal nochmal und nochmal um.

Sagst du dann was?

Tanja: Guck mal, ne Hete!

Christian: Hand in Hand hier im Viertel zu laufen ist durchaus machbar, nur von Tagestouristen, die ins Viertel gehen, weil da ja alles so aufregend und chic ist, von denen bekommt man schon mal was zu hören. Auch Sprüche wie „Arschficker“.

Tanja: Aber sonst hab' ich wenig Probleme damit, die Lehrer wissen's auch, weil ich mal 'ne Info-Veranstaltung gemacht habe. Nur so ein paar Schulprolls, die denken halt immer noch, daß ihre Männlichkeit irgendwie in Gefahr ist, weil da nun jemand ist, der sie einfach überhaupt nicht braucht. Oh, da kommt das Mannsweib, sagen die dann. Naja, wenn sie mich männlicher als sich selbst empfinden, dann ist das ihr Problem. Aber auch so im Freundeskreis gab es natürlich anfangs ziemliche Unsicherheiten. Mir hat zum Beispiel meine damals beste Freundin an den Kopf geschmissen: „Ich hab Bedenken, noch mal mit dir in einem Bett zu schlafen.“ Da wirst du auf einmal nur noch auf das Sexuelle reduziert.

Trauen sich eigentlich auch Teenies in eure Gruppe?

Christian: In den letzten Jahren ist der Altersdurchschnitt stark gesunken, auch im Bundesgebiet. Früher lag der Durchschnitt bei 19/20, jetzt liegt er bei 17/18. Es gibt auch 14jährige in Jugendgruppen. Da frage ich mich natürlich, wie sicher sind die sich schon. Aber wenn jemand kommt, ist es für mich erstmal nicht entscheidend, ob der nun ein bißchen schwul oder durch und durch schwul ist. Das wird sich zeigen. Aber im Moment empfindet er so, und das respektiere ich auch. Wir schmeißen jemanden auch nicht aus der Gruppe raus, wenn er merkt, daß er auch was mit Frauen anfangen kann.

Und nach der anderen Seite hin, zu den älteren Schwulen, grenzt ihr euch da ab? In Hamburg hat sich ja eine junge Schwulengruppe unter anderem deshalb gegründet, damit man nicht mehr dauernd als Frischfleisch betrachtet wird.

Christian: Die Pädophilie, also wenn ein Älterer einen Jüngeren verführt, die ist auch in der Schwulenszene nicht gerade unumstritten. Das ist schon teilweise Ausnutzung. Manche geben sich Tips, wie sie am besten an einen jungen Mann rankommen. Das ist auch ein Grund für uns, am Samstag, wenn ein Älterer kommt, zu sagen „Wir haben jetzt Jugendgruppe“.

Wie steht ihr denn zu den Klappen, wie sie auch in dem Schwulenstadtplan verzeichnet sind? Ist das auch was, was nur für Ältere in Frage kommt?

Christian: Sex auf dem Klo find ich eklig.

Ralf: Ich auch. Sex auf Toiletten lehne ich ab. Aber für viele ist das die einzige Möglichkeit überhaupt, Sex zubekommen, weil viele einfach nicht in der Lage sind, sich ihr Schwulsein einzugestehen, oder weil sie verheiratet sind und sich ihre Scheinwelt nicht kaputtmachen wollen.

Gespräch: Christine Holch