"Ich habe einen Eiertanz gemacht"

■ Interview mit der Charlottenburger Bürgermeisterin Monika Wissel über ihr Coming-out

Monika Wissel, geboren 1944 in Berlin, entschloß sich 1971, in die Politik zu gehen. Seit 1979 ist die Bibliothekarin Bezirksverordnete in Charlottenburg. Im April 1989 wurde sie zur Bezirksbürgermeisterin gewählt, im Juni 1992 im Amt bestätigt. 1990 gründete sie die Arbeitsgruppe „Kommunale Lesben- und Schwulenpolitik“, in der MitarbeiterInnen der Verwaltung, KommunalpolitikerInnen, Lesben und Schwule zusammenarbeiten.

taz: Frau Wissel, was hat die Arbeitsgruppe erreicht?

Monika Wissel: Man kann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung und die Bevölkerung nur sensibilisieren und für Akzeptanz sorgen, wenn alle informiert sind. Wir haben deshalb angefangen, an den Volkshochschulen des Bezirks zu verschiedenen Themen Kurse anzubieten: Diskriminierung am Arbeitsplatz, Coming-out, Erbrecht. Das ist ein ganz selbstverständlicher Bestandteil der VHS Charlottenburg geworden.

Wir haben an die Charlottenburger Krankenhäuser geschrieben, um sie für die Situation lesbischer und schwuler Patienten zu sensibilisieren. Im Herbst werden wir ein Stadtgespräch zum Thema Jugend machen.

Wie reagieren die BürgerInnen, wenn sie mitbekommen, daß eine Ausstellung über die „Gay Games“ im Rathaus stattfindet?

Die Reaktionen der Bevölkerung halten sich in Grenzen. Ich bin nach der Ausstellung über die „Gay Games“ 1991 allenfalls im Wahlkampf ab und zu darauf angesprochen worden, aber mehr von Betroffenen, die das gut fanden.

Haben Sie jemals Beschwerdebriefe bekommen?

Nach meinem Interview im Tagesspiegel im August 1992 sind drei Drohbriefe eingegangen. So in dem Tenor, daß ich alles dafür tue, damit die Menschheit ausstirbt.

Was hat Sie dazu bewegt, sich im Tagesspiegel öffentlich als Lesbe zu erkennen zu geben?

Ich bin im Januar 1992 zu einer Diskussion über lesbisch-schwule Kommunalpolitik eingeladen worden. Ich erfuhr erst kurz vorher, daß Micha Schulze moderiert. Nun ist Micha Schulze nicht immer berechenbar. Was führt der im Schilde, hab ich mich gefragt. So kurz vor der Wahl, das muß ich fairerweise sagen, wäre das nicht sehr glücklich gewesen. Und als er mich dann fragte, warum ich mich so stark für lesbisch-schwule Kommunalpolitik einsetze, da habe ich wirklich einen Eiertanz gemacht. Ich habe mich danach wirklich schlecht gefühlt. Ich hatte die Leute im Grunde belogen. Und ich wußte ja, im Publikum sitzen viele, die es wußten.

Da dachte ich mir, jetzt muß ich wirklich den Schritt in die Öffentlichkeit machen, komme was wolle, aber natürlich nicht eine Minute vor der Wahl. Es ergab sich dann im August, daß Jürgen Bieniek anläßlich der Standesamts- Aktion mit mir ein Interview führte, und da habe ich deutlich gemacht, daß ich den Arbeitskreis auch für mich als Betroffene mache.

Was für Reaktionen gab es?

Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben positiv reagiert. Das hat mich gefreut. Leider haben die, die das kritisch sehen, sich mir gegenüber nicht geäußert. Ich hätte mir gewünscht, mit denen sprechen zu können. Vor allem ältere Damen haben sich aufgeregt.

Wie haben die sich geäußert?

So in die Richtung: Das muß sie doch nicht in die Öffentlichkeit tragen. Es kamen auch ein, zwei Karten. Einer hat mir geschrieben, wenn er das gewußt hätte, hätte er mich nicht gewählt, obwohl er mich trotzdem für kompetent hält. Mein Punkt war: Ich versuche, Politik ehrlich zu machen. Und dann ist es nicht stimmig, wenn ich mit meinem Privatleben unehrlich bin. Und ich wollte auch andere zu dem Schritt ermutigen. Ich habe mich lange wegen meiner politischen Karriere nicht getraut, es zu sagen, weil ich nicht wußte, wie reagieren die darauf.

Wie haben denn Ihre Parteikollegen reagiert?

Ein Stadtrat hat mir einen Riesenblumenstrauß auf den Tisch gestellt. Andere haben auch mit Blumen reagiert oder mit einem Kärtchen. Also, ich war erstaunt.

Das hatten Sie nicht erwartet?

Nein, ich hätte Schweigen erwartet, mehr Schweigen.

Gab es Momente, wo Sie den Schritt bereut haben?

Nein, überhaupt nicht. Wenn ich mir überlege, daß ich über 25 Jahre in – meistens sehr langen – Frauenbeziehungen gelebt habe, und was ich mich in der Zeit versteckt habe, finde ich das schon schade im nachhinein. Aber ich hätte damals nicht den Mut gehabt. Ich habe mich auch nicht bewußt als Lesbe gefühlt. Erst im Laufe der Vorbereitung des ersten Stadtgesprächs ist mir klargeworden: Mensch, du bist betroffen. Du machst es nicht nur, weil du es richtig und wichtig findest, sondern es ist auch für dich. Interview: Dorothee Winden