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„Arschkriecherei ist was Wunderbares!“

■ Die Herren Sternweiler und Theiss vom Schwulen Museum im Kreuzverhör

taz: Gibt es eine spezielle Ästhetik, die man als „schwule Ästhetik“ bezeichnen könnte?

Andreas Sternweiler: Nein.

Wolfgang Theiss: Das speziell „Schwule“ haben wir jedenfalls bisher nicht entdeckt.

Damit lösen sich die folgenden Fragen in Luft auf.

Sternweiler: Welche wären das gewesen?

Viele Schwule scheinen eine künstlerische Veranlagung zu haben.

Theiss: Das glaube ich nicht.

Sternweiler: Du meinst die Kulturtunten?

Theiss: Unter Schwulen gibt es genauso viele schöpferische und kreative Menschen wie unter Heterosexuellen. Und da die Schwulen nur vier Prozent ausmachen, ist der Anteil dann noch geringer.

Sternweiler: Na, ob das stimmt...

Das Schöpferische oder die Prozentzahl?

Sternweiler: Zumindest zwanzig Prozent.

Theiss: Vier Prozent, verteilt auf die Gesamtbevölkerung. In den Städten ballt es sich dann.

Sternweiler: Im Kulturbetrieb eher zwanzig Prozent.

Sammelt ihr auch schlechte Kunst von schwulen Künstlern in eurem Berliner Museum?

Sternweiler: Klar. Wir sammeln alles, was Schwule machen.

Theiss: Er muß gar nicht Künstler sein. Es gibt zwar eine spezielle Kunstabteilung, für uns sind aber auch ganz normale Alltagsäußerungen von jemand interessant, der zum Pinsel greift oder irgendwelche Collagen fertigt, um seine Situation zu beschreiben.

In euren Räumen wird demnächst ein Café eröffnen, in dem schwule Künstler ihre Arbeiten ausstellen können. Wenn sich jetzt einer verstellt und nur so tut, als sei er schwul, und bringt euch einen Stoß Männerakte ...

Sternweiler: Das würde uns nicht stören.

Theiss: Man muß sich als Künstler nicht verstellen. Man kann auch als heterosexuelle Künstlerin, die schwule Themen gestaltet, bei uns ausstellen.

Würdet ihr auch die Bilder eines Schwulen ausstellen, dessen ganze Hingabe dem Frauenakt gilt?

Sternweiler: Das würden wir zur Not auch machen.

Theiss: ... aber es wäre sicherlich kein großer Publikumserfolg.

Ihr habt mir von einer Ausstellung im Schwulen Museum erzählt, die den Titel „Heterosexualität“ tragen wird. Was werdet ihr da ausstellen?

Theiss: Wir wollen wie die Anthropologen fremde Völker ausstellen, oder wie im Völkerkundemuseum die Bräuche von Volksstämmen ...

Sternweiler: ... also das, was uns unheimlich fremd ist ...

Theiss:... oder ungeheuer fremd vorkommt, zeigen. Wir möchten den verständnislosen Blick des Schwulen auf die Heterosexualität klären: die Besonderheiten heterosexuellen Balzverhaltens, Potenzprotzereien, bestimmte Automarken, Kindererziehung ...

Was mir an der Kunstausstellung „Grausamkeit“ im Schwulen Museum gut gefallen hat, war, daß schockierende Bilder mit schwuler Thematik – hier die Vergewaltigung eines Mannes durch einen Mann – bei der Präsentation im Schwulen Museum genullt werden.

Sternweiler: Das hat dir gefallen?

Ja, das ist doch ein Zeichen von Entspannung.

Theiss: Man kann darüber streiten, ob das Thema wirklich erfüllt ist oder nicht. Das werden wir als Museumsmacher aber natürlich nicht kommentieren. Wir machen solche Ausstellungen, weil wir die Künstler pressen, uns nach den Ausstellungen ein Bild oder Objekt für unsere Sammlung zu schenken. So kommen wir langsam zu einer Sammlung.

Gerade lief eure Tom-of-Finland-Ausstellung. Hat der Schwulenpornos gezeichnet, um bei der anerkannten Kunst anzukommen?

Theiss: Es war ihm ein Bedürfnis, geile Bildchen zu malen. Wenn die dann 40 Jahre später in der Kunstszene gelandet sind, ist das sehr schön. Aber es war eigentlich erst mal eine Obsession.

Das Wichtige an Tom of Finland ist ja, daß er sich den Zeitströmungen nicht angepaßt hat. Beispielsweise durfte man in den USA in den 50er Jahren bestimmte Posen nicht darstellen, man mußte die Modelle in antike Gewänder verpacken, Griechen oder Römer zitieren, damit es Kunst und kein Sex ist. Tom of Finland dagegen hat nur Alltagstypen dargestellt. Außerdem hat er den Analverkehr hoffähig gemacht. Das ist ein emanzipativer Akt. Vorher sagte man immer, das praktizieren nur ganz wenige Schwule.

Habt ihr auch eine Kollektion homophober Werke?

Theiss: Wir haben einige Zeitungsausschnitte zum Thema. Es gibt natürlich in der ganzen linken Szene die beliebte Geschichte, daß man jemand als Arschfickenden darstellt, wenn man ihn verunglimpfen will.

Es gibt viele solcher Beispiele. Die taz wimmelt davon. Da wird beispielsweise gerne von „Arschkriecherei“ gesprochen ... Also, man soll endlich mal zur Kenntnis nehmen, daß Arschkriecherei was ganz Wunderbares ist!

Ich habe ja gehört, dieser Gingkobaum- Künstler, dieser Ben Wargin, der soll ...

Theiss: ... homosexuell sein?

Würdet ihr von manchen Künstlern mehr Engagement erwarten?

Theiss: Aber natürlich. Wir haben noch keinen Baum im Hinterhof.

Sternweiler: Aber auch wenn er heterosexuell ist oder sein sollte, dürfte er uns einen Baum hinpflanzen.

Theiss: Wir sind eigentlich gegen Outing.

Sternweiler: ... schwule Bäume? Interview: Wolfgang Müller

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