Grammatikalisch schwer zu handhaben

■ Inside out – Vom verlustreichen Verschwinden des Wortes „Coming-out“

Will man dem Spiegel glauben, immerhin eines der bestinformierten Nachrichtenmagazine Deutschlands, ist Eugen Drewermann doch ein ganz anderer als wir bisher dachten: „Drewermanns Video-Outing“ übertitelte das Magazin kürzlich eine Meldung, löste das Rätsel um Drewermanns sexuelle Präferenz dann aber mit einer banalen Nachricht auf: Der streitbare Kirchenkritiker hatte sich auf einem Kaufvideo nun auch als „Gegner von Krieg und Tierversuchen“ zu erkennen geben.

Der Begriff des Outing, einst von der amerikanischen ACT-UP- Bewegung für das Enttarnen verdeckt liebender Homosexueller eingeführt, ist längst heterosexuell vergesellschaftet. Auch die taz, die es als linksalternatives Blatt mit Hang zu Minderheiten eigentlich besser wissen müßte, outet mittlerweile Hinz und Kunz als dies und das – nur nicht als schwul oder lesbisch: Da wird ein V-Mann von seinen Kollegen als verdeckter Ermittler oder die deutsche Hochspringerin Heike Drechsler als gedopte Stasimitarbeiterin geoutet. Ein grüner Landespolitiker fordert das „Umwelt-Outing“, womit er nicht mehr meint, als daß alle Daten und Fakten über Dioxinverseuchung öffentlicht gemacht werden sollen, und ein Frankfurter Fußballtrainer hat gleich seine ganze Manschaft geoutet. Als was, erfährt man in dieser Meldung leider nicht. Als schwule Eintracht, womöglich? Sicher nicht. Das hätte man sich dann doch gemerkt.

Am liebsten aber zerrt sich die Republik neuerdings selbst ans Licht der Öffentlichkeit: Das Sich- selber-Outen, eine höchst seltsame Sprachkonstruktion, ist schwer in Mode gekommen. Selbst Schwule und Lesben haben längst kein Coming-out mehr. Im Jahre 25 nach Stonewall treten wir offenbar nicht mehr heraus (to come out), sondern enttarnen uns wieder. Denn das ist letztlich das deutsche Synonym für den Anglizismus outing. Enttarnung — ein agressiver, entmündigender Vorgang.

Man gerät somit natürlich zwangsläufig ins Grübeln, wenn eine junge Frau heutzutage verkündet, sich gerade neulich im Uniseminar „als Lesbe geoutet“ zu haben. War es denn ein unfreiwilliger Akt? Ist sie etwa der Enttarnung nur um Bruchteile einer Sekunde zuvorgekommen? Ganz so, wie manch ein Prominenter, der dann zu Recht für sich nur in Anspruch nehmen kann, sich lieber selbst zu outen, bevor es Rosa von Praunheim tut?

Wie so oft, scheinen wir mit dem Verlust eines Begriffes (Coming- out) mehr verloren zu haben als nur ein grammatikalisch schwer zu handhabendes Wort. Sein Coming-out zu haben ist zwar, rein sprachlich gesehen, zugegebenermaßen ziemlich umständlich und häßlich, persönlichkeitspychologisch aber eine schöne, weil befreiende Angelegenheit. Es gab Zeiten, wo die DebütantInnen diesen Tag mit einem großen Fest begingen, zu dem die gay community eigens anreiste, um das neue Mitglied gebührend zu empfangen. Ein langer, meist recht schmerzhafter Sozialisationsprozeß war abgeschlossen mit diesem einen: „Ja, ich bin homosexuell.“ Die Eltern, Kollegen, Freunde waren womöglich zutiefst schockiert, der Neuling selbst hatte die erklärenden Worte noch mühsam suchen müssen.

Die Zeiten des Feierns – sie sind längst vorbei. Mittlerweile muß sich geradezu moralisch rechtfertigen, wer nicht spätestens nach der ersten gleichgeschlechtlich verbrachten Nacht bekannt gibt, homosexuell zu sein. Wo die Gesellschaft mindestens damit kokettiert, daß die Grenzen des inside und outside nicht mehr so klar zu ziehen seien, wird aus dem Bekenntnis ein Aperçu. Daß der mit dem Coming-out einhergehende Wechsel im Selbstverständnis für jedeN einzelneN von uns immer noch wichtiger und folgenschwer ist, verliert im Kontext scheinbarer Freizügigkeit an Bedeutung.

Dabei folgt der Erkenntnis, nicht zur Norm zu gehören, doch viel mehr als nur die Furcht, gesellschaftlich geächtet zur werden. Viele konventionelle Zukunftsphantasien („Werde ich heiraten, Kinder zeugen, Erben hinterlassen?“) müssen erneut überdacht werden. Die gesellschaftliche Norm wird im Kontext der homosexuellen Subkultur vielfach neu definiert. Für all das fehlt die Zeit, wenn wir uns künftig nur noch outen. Ich denke, es wäre ein herber Verlust. Klaudia Brunst